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Ins Nordlicht blicken

Ins Nordlicht blicken

Titel: Ins Nordlicht blicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Franz
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zwei Bemerkungen zu machen, dann hatte er mich eingestellt. Ein ziemlich guter Job, genau das Richtige eigentlich.«
    »Du hast Sven mit der Erpressung erpresst?«
    »So ähnlich.«
    Jonathan sog tief die Morgenluft ein, die nach Erdöl roch. Vom Ufer her hörte man das Motorengeräusch der Lastwagen, die offenbar zur Raffinerie unterwegs waren. Er spürte eine leichte Übelkeit. Wann immer er die Schuldgefühle zugelassen hatte, die er in sich verbarg, hatte er nur an das Leid gedacht, das er anderen bereitet hatte. Konnte es denn sein, dass jemand von seiner Tat profitiert hatte?
    »Warum sieht man keine Tankschiffe?«, fragte er schließlich.
    »Es gibt seit Kurzem eine unterirdische Pipeline nach Kanada und von dort in die USA.« Aqqaluk machte einevage Handbewegung Richtung Westen. »Die Amerikaner haben das Rennen gemacht, jedenfalls hier im Süden. Den Norden werden sich wohl die Kanadier mit den Russen teilen, aber die müssen erstmals mit ihren Offshore-Bohrungen vorankommen.« Er lachte bitter. »Ja, Pakku, seit du weg bist, haben sich einige Leute in Grönland eine goldene Nase verdient. Ich könnte dir eine Menge erzählen. Kannst du dich noch an Gunnar Kleist erinnern?«
    »Klar.« Jonathan verscheuchte die Mücken auf seinen Armen, indem er sich die Decke von den Schultern schob. Er löste sein Paddel von Aqqaluks und stieß sich an dessen Kanu ab. »Aber erst einmal bin wohl ich mit Erzählen dran«, sagte er.
    »Ja, das bist du wohl«, antwortete Aqqaluk. »Warum nennst du dich Jonathan? Ich habe an der Rezeption gesehen, dass dein Nachname jetzt Querido ist. Was ist das für ein Name? Er klingt spanisch.« Aqqaluk tauchte das Paddel in den dünnen Morgennebel, der über dem Fjord lag. Er gab seinem Kajak nur so viel Schwung, dass es wieder neben Jonathans lag.
    »Das ist ein philippinischer Name«, sagte Jonathan. »Die Philippinen haben mehr als dreihundert Jahre unter spanischer Herrschaft gelebt. Es ist der Name des Jungen, den ich getötet habe, auf der Alaska, und der später in Dänemark gefunden wurde. Als ich von Bord ging, war es meiner.« Er hatte dies alles so kühl und unbeteiligt gesagt, als halte er einen Vortrag. Aber sein Paddel übertrug die Aufregung, die er nur mühsam unterdrücken konnte. Hart und unrhythmisch schlug es aufs Wasser, sodasssein Kanu zitterte. Zum ersten Mal hatte er in Worte gefasst, was er getan hatte. Für einen Moment kam es ihm vor, als hätte er dem fremden Schiffsjungen einen eigenen Namen gegeben, einen, der ihm allein gehörte und sonst niemandem. Der Junge, den ich getötet habe .
    Er sah zu Aqqaluk hinüber, dessen Gesicht im Sonnenlicht wie Kupfer schimmerte. Keine Spur des Zweifels und der Ungläubigkeit war darin zu finden, aber auch kein Entsetzen.
    Jonathan ließ sein Kanu langsamer werden. Bis sie wieder bei dem Bootshaus ankamen, würde er Aqqa seine Geschichte erzählt haben. Und so fuhren sie Seite an Seite durch den Nebel aufs Ufer zu, während Jonathan das Geheimnis preisgab, das ihn neun lange Jahre wie ein dunkler Schatten begleitet hatte.

Hamburg, Frühjahr 2011
    Ich sah nur Beine. Kein einziges Mal hob ich den Kopf. Naiv wie ein kleines Kind, das glaubt, nicht gesehen zu werden, wenn es sich beim Versteckenspielen die Hände vors Gesicht hält. Ich lief einfach zwei Typen hinterher, die so aussahen wie ich, schwarze Hose, schwarze Haare, braune Haut, hängende Schultern. Das Fußvolk eben, das seinen eigenen Hinterausgang hatte. Erst als ich in dem Flur stand, wo sich dicht an dicht alle drängten, die von Bord wollten, als ich ihren Schweiß roch und die Wärme ihrer Körper spürte, wachte ich auf. Jemand rempelte mich an und fragte mich irgendwas in einer Sprache, die ich nicht verstand. Ich schüttelte den Kopf und wollte mich durch die wartende Menge schieben. Doch es ging nicht weiter. Ich steckte fest, ich konnte mich kaum noch bewegen. Die Panik kroch mir den Rücken hoch. In meinem Kopf jagten sich die Gedanken. War es nicht verboten, in der Schiffsuniform an Land zu gehen? Musste ich meinen Ausweis zeigen? Wenn mir nun Grönemeyer begegnete? Würde ich in der allerletzten Sekunde noch erwischt werden? Vielleicht hatte jemand den toten Jungen fallen sehen ... Vielleicht hatten sie ihn rausgefischt und suchten jetzt seinen Mörder ... Vielleicht wurde ich die ganze Zeit beobachtet und merkte es nur nicht! Plötzlich war ich mir sicher, dass ich von allen Seiten gemustert wurde. Aber ich wagte es nicht, mich umzuschauen. Anden

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