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Ins Nordlicht blicken

Ins Nordlicht blicken

Titel: Ins Nordlicht blicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Franz
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dauerte es eine Weile, bis sich Jonathans Puls beruhigt hatte und er plötzlich die Kälte spürte, die vom Wasser aufstieg. Die Sonne hatte den Fjord inzwischen golden gefärbt. Jetzt, im helleren Licht des Morgens, entdeckte Jonathan den Ölfilm, der schillernde Schlieren auf das Wasser gemalt hatte.
    Aqqaluk hatte zwei Wolldecken aus dem Bootshaus mitgenommen. Er wartete, bis Jonathans Kajak zu ihm aufgeschlossen hatte, reichte ihm eine Decke und verhakte ihre beiden Paddel so, dass die Boote nebeneinanderlagen.
    »Ich sollte dich Angerlartussiaq nennen«, sagte er. »Weißt du, was das heißt?« Er wartete Jonathans Antwort nichtab, sondern sprach weiter. »Der, dessen Schicksal es ist wiederzukommen. Der Wiedergeborene.«
    »Glaubst du ans Schicksal?«
    »Ja. Nein. Vielleicht. Und du?«
    Jonathan zögerte. »Ich glaube, dass wir Dinge tun, die dann unser Schicksal bestimmen«, sagte er.
    »So kann man das auch sehen.« Aqqaluk zog sich die Decke um die Schultern und streckte seinen Oberkörper. Und dann fing er an zu erzählen.
    Er erzählte von dem schlechten Gewissen, das er gehabt hatte, weil er Jonathans Vater nicht die Wahrheit gesagt hatte und sogar vorgab, ihm bei der Suche nach Pakku zu helfen, von der Aufgeregtheit, mit der Peter Wildhausen durch Nuuk gerannt war und jeden nach seinem Sohn ausgequetscht hatte, bis er schließlich auch an Maalia geraten war, die das kaum ausgehalten hatte. »Wir müssen es ihm sagen«, das war ihre Meinung dazu gewesen. Aber dann hatten sie trotzdem beschlossen, den Mund zu halten, zumindest bis eine Nachricht von Pakku aus Deutschland gekommen war, die aber einfach nicht kam. Von der bitteren Ahnung erzählte er, dass etwas passiert sein musste. Eine Ahnung, die sich auf so schlimme Weise bewahrheitete, als die Leiche von Pakkutaq Wildhausen gefunden worden war.
    »Dein Vater ist rübergeflogen und hat dich identifiziert«, sagte Aqqaluk, als bestünde er nach wie vor darauf, dass es Pakkutaq gewesen war, der dort aufgedunsen in dem dänischen Leichenhaus gelegen hatte. Aber jetzt ließ er die quälenden Details aus und erwähnte auch die Beerdigung in Nuuk nur kurz, um zu dem Gespräch zukommen, das er auf dem Rückweg vom Friedhof mit Sven Kristiansen gehabt hatte. Sven hatte ihn beiseitegezogen und ihm eröffnet, dass er wüsste, wer Pakkutaq auf dem Gewissen habe. Er hätte nämlich kurz nach seinem Verschwinden zwei seltsame Nachrichten auf seiner Mailbox gehabt, denen er aber keine große Bedeutung zugemessen habe. Aber jetzt, wo es klar sei, dass Pakkutaq ertrunken sei, hätte er auf einmal die Zusammenhänge begriffen. Grönemeyer von der Alaska habe den Jungen auf dem Gewissen, er hatte ihn ganz offensichtlich über Bord geworfen. Und dann, noch auf dem Rückweg von der Beerdigung, hatte er ihn in seinen Plan eingeweiht, Grönemeyer büßen zu lassen und gleichzeitig ein wenig zu profitieren von dem Tod des armen Pakku.
    »Wir haben ihn in der Hand, diesen Deutschen«, hatte Sven gesagt und er, Aqqaluk, hatte sich gewundert, warum er ihn mit ins Boot zog. Aber genau wie Pakku hatte er schon in der nächsten Sekunde begriffen, dass Sven jemanden brauchte, der Englisch sprach, wenn schon nicht Deutsch. Denn wie sollte man jemanden erpressen, ohne sich halbwegs verständlich machen zu können?
    Und darauf war es hinausgelaufen: Als die MS Alaska das nächste Mal im Hafen von Nuuk lag, hatte Aqqaluk, der inzwischen voll bei Svens illegalen Krabbentouren eingeführt war, Grönemeyer auf seine Tat angesprochen. Natürlich hatte dieser alles bestritten, worauf ihm Aqqaluk die Aufnahme von Svens Mailbox vorgespielt hatte. »Vergiss den Scheißtypen, Sven, ich schmeiß ihn über Bord, sowie wir auf See sind.« Und so war dem Deutschen nichts anderes übrig geblieben, als zu zahlen, immerwieder, obwohl er nicht mehr an Bord war, als die Alaska im nächsten Jahr Nuuk anlief, denn es war ein leichtes gewesen, seine Adresse in Bremen ausfindig zu machen.
    »Wir haben ihn ausgepresst«, sagte Aqqaluk und seine Stimme klang gequält. »Sven hat von dem Geld ein Restaurant aufgemacht.«
    »Und du?«
    »Ich habe mir fast das Gehirn weggepustet mit all den Drogen, die ich genommen habe ... irgendwann hatte ich genug. Ich habe Sven gesagt, dass er von nun an seine Verhandlungen selbst führen könnte. Aber Sven hatte sowieso vorgehabt, Grönemeyer allmählich in Ruhe zu lasssen. Er hatte zu der Zeit noch ein Restaurant aufgemacht und die Läden liefen gut. Ich brauchte nur ein,

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