Insektenstachel
An der Eingangstür blätterte die dunkelgrüne Farbe ab und an einigen Stellen rieselte der Putz aus dem Mauerwerk. Die Fenster waren blind vor Schmutz, sodass man kaum noch hindurch sehen konnte. Wenn man ganz genau hinblickte, waren jedoch hinter den Scheiben Topfpflanzen zu erkennen, deren farbige Blüten deutlich machten, dass im Haus jemand leben musste, der sich um die Gewächse kümmerte.
»Schau mal, dort drüben!« Onkel Titus wies mit der Hand in den verwilderten Garten. »Vielleicht ist Mrs Hazelwood in der alten Laube. Die Tür steht offen.«
Justus wollte gerade über das angrenzende Blumenbeet springen, um einen Blick in das windschiefe Gartenhaus zu werfen, als es im Türschloss rumorte. Kurz darauf öffnete sich die Eingangstür und eine Frau trat auf die Schwelle. »Mr Jonas?«
»Der bin ich.« Onkel Titus ging einen Schritt auf die Dame zu und streckte ihr zu Begrüßung die Hand entgegen. »Und das ist mein Neffe Justus. Ich habe ihn als Helfer mitgebracht.«
Justus stutzte. Die Dame zeigte keine Reaktion und rückte stattdessen ihre dunkle Sonnenbrille zurecht, sodass Onkel Titus verunsichert seine Hand zurückzog.
»Ich bin Mrs Hazelwood. Entschuldigen Sie, dass ich Sie warten ließ, aber ich war gerade im ersten Stock in der Bibliothek. Leider bin ich nicht mehr so gut zu Fuß. Treten Sie doch ein.« Sie lächelte und drehte den Kopf zur Seite. »Merkwürdig. Wo ist Laura denn nur?«
Justus folgte Mrs Hazelwood und Onkel Titus in die große Vorhalle und schloss die Haustür hinter sich. Am Ende der Halle führte eine breite Steintreppe, eingesäumt von zwei Marmorsäulen, ins Obergeschoss.
»Wer ist Laura?«, versuchte Justus in Erfahrung zu bringen.
Die Dame blieb am Treppenabsatz stehen. »Meine Haushaltshilfe.« Sie formte die Hände zu einem Trichter. »Laura!«
Es erfolgte keine Reaktion. Mrs Hazelwood trat hinter die Treppe, wo eine metallene Kellertür verborgen war. Sie zog an dem Knauf. Mit einem Quietschen öffnete sich die Tür und Mrs Hazelwood rief in die Dunkelheit hinab. »Laura!«
»Vielleicht ist sie draußen im Schuppen«, schlussfolgerte Justus. »Vorhin jedenfalls stand die Tür des Gartenhäuschens offen.«
»Dann wird sie sicher den Gartenschlauch holen und die Pflanzen sprengen. Es hat seit Wochen nicht geregnet. Diese tropische Hitze bringt mich noch mal um.« Mit einem schweren Seufzer trat Mrs Hazelwood an eine der Marmorsäulen und fasste sich an den Hals. »Ich lag viele Wochen im Krankenhaus. Seitdem ist in diesem Haus eine Menge liegen geblieben. Nun hilft mir Laura. Sie ist erst den zweiten Tag bei mir.«
»Mrs Hazelwood.« Onkel Titus blickte sich fragend in der kargen Vorhalle um. Außer einer riesenhaften Steinvase, aus der mehrere Sonnenblumen stolz ihre Köpfe emporreckten, befanden sich keine weiteren Einrichtungsgegenstände im Raum. »Sie hielten sich am Telefon recht bedeckt und sprachen lediglich von Hausinventar, welches Sie meinem Alt- und Gebrauchtwarenhandel zu einem Spottpreis überlassen wollten. Um was für Inventar handelt es sich konkret?«
»Sie kommen gleich zur Sache, Mr Jonas. Das gefällt mir.« Mrs Hazelwood tastete nach dem Treppengeländer und schritt langsam die Stufen ins Obergeschoss hinauf. »Laura und ich haben die Sachen bereits zusammengepackt. Folgen Sie mir bitte.«
Als Justus und Onkel Titus den ersten Stock erreicht hatten, erwartete sie auch hier Leere. Die Wände des Flures, von dem vier Türen abgingen, waren kahl. Kein einziges Bild zierte die Umgebung. Lediglich ein geflochtener Bastteppich bedeckte den Gang, der bei jedem ihrer Schritte knirschte. Mrs Hazelwood öffnete eine Tür und führte die beiden in ein geräumiges Zimmer, in dem drei Regale standen, die bis unter die Decke reichten. Sie waren leer. »Meine Bibliothek«, entwich es Mrs Hazelwood verbittert. Dabei stieß sie mit ihrer Schuhspitze an einen monströsen Stapel Umzugskisten, der die gesamte rechte Zimmerseite gegenüber der Fensterfront in Anspruch nahm. Justus überflog die Anzahl der Kisten und stellte fest: Es waren genau siebenundzwanzig.
Onkel Titus näherte sich dem Stapel und sah Mrs Hazelwood interessiert an. »In den Kisten sind Bücher?«
Die Dame nickte. »Bildbände, Lexika, Romane, Kinderbücher und Sachbücher.« Sie öffnete den Deckel einer Umzugskiste und winkte ihre beiden Besucher zu sich heran. »Sehen Sie sich ruhig alles an.«
Justus’ Augen begannen zu leuchten. Auf einem Buchrücken las er
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