Insel aus Stein: Mittsommerglück (German Edition)

Der einzige Gegenstand darin war ein gerahmtes Bild, das er jetzt hervornahm. Die Frau, die auf dem Foto abgebildet war, war wunderschön, doch es war ihr gütiges Lächeln und das sanfte Strahlen ihrer Augen, in das er sich einst verliebt hatte.
    Zärtlich strich er mit dem Finger über das so sehnlich vermisste Gesicht. Annika …
    Für einen Moment schloss er die Lider und sah sie vor sich, atmete noch einmal den süßen Duft ihres Haares ein und lauschte ihrem glockenhellen Lachen. Sie war die Frau, die er liebte. Und ihr Andenken war es, das es zu bewahren galt.
    Tränen verschleierten seinen Blick. Er würde Annika niemals vergessen. Sie war die Frau, der er sein ganzes Leben lang Treue geschworen hatte. Und deshalb musste das, was heute Nacht geschehen war, ein einmaliger Ausrutscher bleiben.

6. KAPITEL
    D ie Morgensonne fiel durch das Butzenfenster und tauchte den Raum in helles Licht. Leise stöhnend zog Cassie sich ihr Kissen über den Kopf. Lieber Himmel, ihr brummte der Schädel so, als hätte sie einen Trinkwettbewerb mit einer ganzen Mannschaft russischer Matrosen abgehalten. Und das alles nur von ein paar Gläsern Champagner …
    Mühsam rollte sie sich aus dem Bett und rieb sich die Augen. Als sie aufstand, begann ihr Magen Purzelbäume zu schlagen, und sie schaffte den Weg ins Badezimmer in persönlicher Bestzeit. Das Gesicht mit den dunklen Augenringen und der fahlen Gesichtsfarbe, das ihr aus dem Spiegel entgegenblickte, war kaum als das ihre wiederzuerkennen.
    Jetzt wusste sie wieder, warum sie es unter normalen Umständen tunlichst unterließ, auch nur einen Tropfen Alkohol anzurühren. Bereits kleinste Mengen wirkten extrem auf sie, ihr Körper schien damit einfach nicht fertig zu werden. Sie hatte insgesamt nicht mehr als ein paar Gläser Champagner getrunken, doch die Wirkung war verheerend.
    Sie konnte sich noch verschwommen daran erinnern, dass Dale sie einigen der Hochzeitsgäste vorgestellt hatte. Dann hatten sie miteinander angestoßen, und er hatte sie zum Tanz aufgefordert. Aber danach …
    Stirnrunzelnd versuchte sie sich an die Geschehnisse des Vorabends zu entsinnen. Und dann kam die Erinnerung und traf sie wie ein Schlag in die Magengrube. Oh nein! Cassie schlug die Hand vor den Mund. Nein, das durfte nicht wahr sein! Alles, nur das nicht!
    Was war bloß in sie gefahren, Dale einfach so zu küssen? Denn genau so war es gewesen – sie hatte Dale geküsst, und nicht umgekehrt. Den einzigen Vorwurf, den sie ihm vielleicht machen konnte, war, dass er gar nicht versucht hatte, sie davon abzuhalten. Doch warum sollte er auch? Die Schamesröte schoss ihr ins Gesicht. Sie hatte sich aufgeführt wie ein Flittchen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich dermaßen schamlos benommen. Genau genommen kannte sie Dale ja eigentlich gar nicht. Was wusste sie denn schon über ihn, abgesehen von den Dingen, die sie in seinem Verlagsdossier gelesen hatte?
    Das Schlimmste an der ganzen Geschichte aber war, dass sie es schon wieder getan hatte! Nicht nur, dass Dale Autor war – für sich genommen schon schlimm genug! –, er veröffentlichte auch noch bei Dolphin Books. Sie arbeiteten zusammen, und schon allein deshalb hätte sie eigentlich die Finger von ihm lassen müssen. Doch ein paar Gläser Champagner hatten offensichtlich gereicht, um ihre Selbstbeherrschung zusammenbrechen zu lassen.
    Panik stieg in ihr auf. Was, wenn sie dazu verdammt war, die Vergangenheit immer und immer zu wiederholen? Hatte sie denn aus der Katastrophe mit Liam gar nichts gelernt?
    Liam. Ein Gefühl von Bitterkeit stieg in Cassie auf, wie immer, wenn sie an ihren Ex dachte. Für einen Moment konnte sie ihn regelrecht vor sich sehen, in seinem eleganten, sündhaft teuren Businessanzug, sein dezentes Rasierwasser riechen, das ihn wie eine Wolke umschwebte. Er sah gut aus, weltgewandt, distinguiert. Mit seinem Charme hatte er Cassie um den Finger gewickelt, bis sie ihm regelrecht verfallen war. Und für eine kurze Zeit hatte sie tatsächlich geglaubt, dass er sie ebenfalls liebte. Ja, sie war sich sogar absolut sicher gewesen. Ein folgenschwerer Trugschluss, für den sie noch bis heute bezahlte.
    Als sie Liam Masterson kennenlernte, lebte dieser gerade erst ein paar Monate von seiner Frau Janet getrennt. Cassie hatte akzeptiert, dass sie noch immer eine große Rolle in seinem Leben spielte und dass er noch nicht dazu bereit war, sich endgültig von ihr scheiden zu lassen – immerhin konnte man über zehn gemeinsame Jahre