Insel aus Stein: Mittsommerglück (German Edition)
geschafft habe, das Manuskript in eine vernünftige Form zu bringen. Es ist zwecklos, Cassie.”
“Ich könnte Ihnen helfen.”
Verblüfft musterte er sie. “Sie wollen mir helfen? Nach allem, was geschehen ist? Warum?”
“Nun, es ist mein Job, nicht wahr?” Sie seufzte. “Außerdem bin ich ebenso davon abhängig, dass dieser Roman ein Erfolg wird, wie Sie. Um ehrlich zu sein, ich stecke in einer ziemlichen Zwickmühle. Ich fürchte, wenn ich mit leeren Händen nach London zurückkehre, bin ich meinen Job bei Dolphin Books los. Und davon abgesehen … Ich mag Sie, Dale. Und ich finde
Einsame Herzen
ist es wirklich wert, veröffentlicht zu werden.”
Dale atmete tief durch. Cassies Reaktion überraschte ihn völlig. Niemals hätte er damit gerechnet, dass sie ihm einen solchen Vorschlag machen würde. Nimm ihr Angebot an, sagte eine Stimme tief in seinem Innersten, doch zugleich wehrte sich ein anderer Teil in ihm dagegen. Noch vor ein paar Minuten hätte er alles darum gegeben, Cassie so schnell wie möglich loszuwerden, aber nun bot sie ihm eine einmalige Chance, die Dinge doch noch zum Guten zu wenden. Wie sollte er sich entscheiden?
Die Tatsache, dass ihre mitfühlenden und tröstenden Worte sie nur noch anziehender für ihn machten, erschwerte alles nur ungemein. Er hatte sich so sehr bemüht, Cassie nicht zu mögen, doch sie sorgte jedes Mal dafür, dass seine Anstrengungen erfolglos blieben. Sie war sympathisch und hilfsbereit, freundlich und humorvoll – wie, um Himmels willen, sollte er sie nicht mögen? Zudem hatte sie gerade zugegeben, dass ihr eigenes Schicksal ebenfalls eng mit dem Erfolg oder Misserfolg von
Einsame Herzen
verknüpft war. Sollte er sich also dafür entscheiden, ihr Angebot abzulehnen, würde er damit nicht nur seine eigene Zukunft, sondern auch die von Cassie auf dem Altar seiner Liebe zu Annika opfern.
“Ich brauche ein paar Stunden, um darüber nachzudenken”, sagte er schließlich, irritiert darüber, wie heiser und rau seine Stimme klang.
Cassie nickte. “Ich kann verstehen, dass diese Entscheidung nicht leicht für Sie ist.”
Das können Sie nicht, dachte Dale, und ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen. Das kann niemand …
Zärtlich strich Dale über das Kopfkissen, das noch immer auf der linken Bettseite lag. Ein weiteres Relikt aus einer glücklichen Zeit, von dem er sich nie hatte trennen können. Obwohl Malin es sicher schon mindestens ein Dutzend Mal gewaschen hatte, bildete er sich manchmal ein, dass ihm noch immer der Duft von Annikas Parfum anhaftete. Rosen, mit einem Hauch von Vanille.
Er spürte erneut Tränen aufsteigen und blinzelte sie mühsam fort. Was soll ich tun, Annika? fragte er stumm.
Langsam stand er auf und ging hinüber zum Schrank, in dem noch immer ihre Sachen hingen. Er öffnete die Schublade und nahm ein hauchzartes cremefarbenes Nachthemd daraus hervor. Während er sanft die Finger über den glatten Satinstoff gleiten ließ, strömten unvergessene Bilder auf ihn an: Annika in ihrem Hochzeitskleid, Annika barfuß tanzend auf einem Sommerfest, Annika neben ihm im Bett. Gequält schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er das Buch.
Der Einband bestand aus gegerbtem braunen Leder, und es war seitlich mit einer kleinen Schnalle verschlossen. Für einen Moment stockte ihm der Atem, denn er hatte völlig vergessen, dass es existierte.
Annikas Tagebuch.
Vorsichtig, so als bestünde die Gefahr, dass es unter der leichtesten Berührung zu Staub zerfallen könne, hob er es aus der Schublade und setzte sich aufs Bett. Eine Weile lang saß er einfach nur da und sah das Buch an. Sollte er es öffnen? Nicht zum ersten Mal stellte er sich diese Frage, und bisher hatte er sie immer mit einem klaren Nein beantwortet. Aber Zeiten änderten sich, heute war einiges passiert, was ihn die Dinge aus einer anderen Perspektive betrachten ließ. Annika war tot, und im Grunde seines Herzens wusste Dale, dass sie ihm nicht böse sein würde, wenn er in ihrem Tagebuch las. Es waren Erinnerungen, die ihm helfen konnten, über ihren Tod hinwegzukommen. Außerdem hatte er so die Möglichkeit, ihr noch einmal nah zu sein, ganz nah.
Langsam löste er die Schnalle und schlug das Buch auf. Der Anblick Annikas verspielter, geschwungener Handschrift ließ sein Herz schneller schlagen. Es war fast, als würde er sie selbst vor sich sehen. Lächelnd, wie immer.
Er begann zu lesen. Und ohne dass er wirklich wusste, was er tat, verschlang er jedes
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