Insel der Freibeuter
den
Grund des Meeres schicken mußte. Kein Wunder,
daß die Korsaren spektakuläre Siege vermelden
konnten. Schließlich hatten sie es ja nicht nötig, einen Feind gefangenzunehmen oder ihn in einer fai-
ren Schlacht zu besiegen. Sie konnten sich darauf beschränken, schwer manövrierfähige Transport-schiffe mit den modernsten Kriegstechniken zu zer-stören.
Manchmal, wenn die Situation günstig und ohne
großes Risiko schien, bemächtigten sich die Korsaren auch ihrer Beute. Damit handelten sie allerdings entschieden gegen den Auftrag ihrer Souveräne, die den Korsaren die berühmten Kaperbriefe ausgestellt hatten. Ein Korsar hatte demnach im Prinzip keine Wahl: Er konnte eine ganze Flotte versenken, ohne daß er daraus irgendeinen Nutzen hätte ziehen dürfen. Er war also in Wahrheit nichts weiter als eine Art »Staatsterrorist« seiner Zeit, der lediglich rein politischen Zwecken diente.
Die echten Seeräuber waren aus diesem Grund auf
die Korsaren nicht gut zu sprechen. Wahllos so immense Reichtümer zu zerstören, von denen so viele hätten profitieren können, sahen die Piraten als idiotische Verschwendung und als Sicherheitsrisiko.
Gold, Silber und Edelsteine ruhten nutzlos auf dem Meeresgrund, während die zahllosen Todesopfer,
welche die barbarischen Attacken forderten, nur
dazu dienten, daß die spanischen Behörden neue
Kriegsschiffe schickten. Und die machten keinen
Unterschied zwischen »ehrbaren Seeräubern« und
barbarischen Korsaren.
Das soll nicht heißen, daß sich nicht bisweilen einige der skrupellosesten Piraten auf die Seite der Korsaren schlugen und mit ihnen gemeinsam eine
mächtige Flotte oder eine Festung angriffen. Stets war jedoch klar, daß die einen nur den Auftrag hatten zu zerstören, während es den anderen ums Plündern ging.
Da es häufig zu solchen Allianzen kam, vergaßen
die Opfer und später die Historiker mit der Zeit, worin ursprünglich der Unterschied zwischen Piraten und Korsaren bestanden hatte, und schließlich warf man beide in den gleichen Topf. Ob Korsar
oder Pirat: Allein die bloße Erwähnung jagte Angst und Schrecken ein.
Jacare Jack gehörte stets zu den echten Piraten, das heißt zu jenen nur selten blutdürstigen Seeräubern, denen es lediglich darum ging, in kürzester Zeit so reich wie möglich zu werden und sich dann auf ein frühes Altenteil zu setzen, um in Frieden die Früchte der so kurzen Anstrengung zu genießen.
Der Schotte wußte nur zu gut, daß man ein ver-
senktes Schiff kein zweites Mal plündern konnte und daß ein mißhandelter Kapitän nicht noch einmal
kampflos die Waffen streckte. Daher sorgte er dafür, daß seine Männer beim Entern nur soviel Gewalt
wie unbedingt nötig anwendeten.
Das führte mit der Zeit dazu, daß die Besatzung eines Schiffes beim Anblick der Krokodilsflagge mit Totenkopf einen Seufzer der Erleichterung ausstieß, da sie in Gewässern, in denen es von Feinden nur so wimmelte, ein gewisses Maß an Sicherheit vermit-telte.
Von Oktober bis März ging die Jacare daher hun-
dert Meilen östlich von Barbados auf Patrouille,
überfiel Schiffe ohne Begleitschutz, plünderte die Lagerräume oder lotste eine besonders reiche Beute in eine versteckte Bucht der von gefährlichen Riffen geschützten kleinen Inseln Rameau, Bateaux und
Barandal. Hier in den südlichen Grenadinen war
man sicher, denn ein Feind, der die schmalen Was-
serstraßen des Archipels nicht wie seine Westentasche kannte, lief unweigerlich auf ein Korallenriff und war den Kanonen der Jacare hilflos ausgeliefert.
Auf der nahen und wesentlich größeren, aber un-
bewohnten Insel Mayero hatte Jacare Jack sein
»Winterquartier« aufgeschlagen. Hinter diesem
pompösen Namen verbargen sich allerdings im Prin-
zip nur zwei Dutzend strohgedeckte Lehmhütten.
Immerhin herrschte auf Mayero kein Mangel an Hu-
ren, Rum und gutem Essen.
Der größte Teil der Besatzung war mit seinem Los
glücklich und zufrieden. Von April bis September
machte man Ferien auf einer paradiesischen Insel, und das übrige Jahr ging mit einträglicher und recht gefahrloser Arbeit dahin. Nur gelegentlich regte sich einer auf und fand, daß ein echter Pirat doch mehr sein mußte als jene seltsame Mischung aus Krämer
und Bandit.
Auf derartige Beschwerden gab der Schotte stets
die gleiche Antwort: »Hier gebe ich die Befehle, und wem das nicht paßt und lieber abhauen möchte,
braucht nur die Hand zu heben, damit ich ihn am
nächsten Ast aufhängen kann,
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