Insel der Freibeuter
denn einen Huren-
sohn, der unser Versteck verrät, kann ich wirklich nicht brauchen.«
Natürlich fiel es keinem auch nur im Traum ein,
jemals die Hand zu heben, und so ging das friedliche Leben einige Jahre lang weiter, in denen Sebastián Heredia Matamoros in Gesellschaft der rüdesten
Lebewesen auf der Erde aufwuchs.
Mit 16 Jahren beherrschte er bereits drei Sprachen, kannte sich in der Navigation und im Waffenge-brauch aus, und kaum war er 17 geworden, da führte ihn eine begabte und erfahrene Mulattin in die
schwierige Kunst ein, wie man Frauen glücklich
macht.
Auch mit allen Arten von Glücksspiel war er be-
stens vertraut, und nach drei Krügen Rum konnte er immer noch aufrecht gehen.
Da ihm als »Einsatzleiter« ein beträchtlicher Teil an der Beute zufiel, hätte er sich eigentlich als Günstling Fortunas fühlen können, hätte ihn nicht sein Vater ständig an die bittere Tragödie erinnert, die seine Jugend verdunkelt hatte.
Denn Miguel Heredia Ximénez hatte sich im Lauf
der Jahre kein Jota verändert und war so stumm und abwesend wie immer geblieben. Zwar erwähnte er
seine Frau und seine Tochter niemals mit auch nur einem Wort, doch konnte jeder sehen, daß ihm beide unaufhörlich im Kopf herumgingen. Das steigerte
sich immer mehr zu einer Besessenheit, die ihn all-mählich verrückt machte.
Sebastiáns Liebe und Hingabe hätte sogar die Her-
zen einer Bande von Halunken erweicht, die wahr-
scheinlich einem Lahmen, ohne mit der Wimper zu
zucken, die Kehle durchgeschnitten hätten. Stunden und Stunden setzte sich der Junge zu seinem Vater, um ihm tausend Dinge zu erzählen, obwohl er wuß-
te, daß er nur selten eine Antwort erhalten würde.
Nur eines schien den Vater, dem ansonsten sogar
das Atmen schwerfiel, glücklich zu machen: Wenn
er sich an einem seichten Ankerplatz ins Meer stürzen und stundenlang bis zur Erschöpfung tauchen
konnte.
In diesen Nächten schlief er tief und ruhig, als hätte ihm die Taucherei für einen Augenblick die glücklichen Zeiten zurückgebracht, in denen sein ganzes
Schalten und Walten darin bestand, schöne Perlen zu finden, die seiner Familie zugute kamen.
Wenn der Vater tauchen ging, paßte sein Sohn wie
früher auf Haie und Barracudas auf, stets mit einer Hand an der Lanze und einer scharfen Machete am
Gürtel, wie ein Schutzengel, der genau wußte, daß jenes schutzlose Wesen alles war, was ihm im Leben geblieben war.
Oft nahm der schweigsame Lucas Castano am an-
deren Ende der Schaluppe Platz, wo er angelte oder scheinbar abwesend vor sich hin döste. Doch obwohl die Augen unter seinem alten zerfressenen
Strohhut geschlossen waren, konnte er beim leise-
sten Anzeichen von Gefahr aufspringen.
Während der langen Ruhezeiten zog es Miguel He-
redia vor, in seinen schmerzlichen Erinnerungen
versunken an Bord der Jacare zu bleiben. Rum,
Glücksspiel und Huren interessierten ihn nicht das mindeste. Er beschränkte sich darauf, Waffen zu
schleifen oder gefundene Perlen in einer kleinen
selbstgeschnitzten Truhe zu hüten.
Er bot wirklich einen jammervollen Anblick.
Sein Sohn begeisterte sich dagegen oft ein wenig
zu sehr für die Würfel und die Frauen. In der Liebe war ihm das Glück stets hold, im Spiel eher weniger.
Das scherte ihn allerdings kaum, denn die Lager-
räume der Schiffe der Casa de Contratación gaben
weit mehr her, als selbst ein Pechvogel beim Wür-
feln verschleudern konnte.
Für die richtige Erziehung eines Jünglings war das Umfeld, in dem Sebastián Heredia Matamoros aufwuchs, nicht gerade ideal, doch wie das Leben
manchmal so spielt, schaffte es der Junge trotzdem, eine seltsame Balance zwischen der schmutzigen,
von Gewalt beherrschten Welt, die ihn umgab, und
den moralischen Prinzipien zu halten, die man ihm von klein auf beigebracht hatte.
Dabei spielte es kaum eine Rolle, daß die Frau, die ihm die Prinzipien vermittelt hatte, diese als erste verraten hatte. Vielleicht waren aber auch die
schmerzvollen Folgen dieses Verrats daran schuld, daß sich der Junge von Margarita unbewußt seine
Moral bewahrte.
Lucas Castano, der ihn von allen Leuten an B6rd
am besten kannte, war zutiefst davon überzeugt, daß Sebastián ohne die Anwesenheit des Vaters seine
Wurzeln ebenso verloren hätte wie die restlichen
Mitglieder der kunterbunt zusammengewürfelten
Besatzung. Die eiserne Klammer, die ihn mit dem
bedauernswerten Kranken verband, hatte den Jungen jedoch ohne Zweifel vor dem moralischen
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