Insel der Freibeuter
ein Messer in den Rücken zu jagen, um das Kommando an sich zu reißen. Und er kam zur schmerzlichen Überzeugung, daß er nahezu die Hälfte der
Mannschaft loswerden mußte, wenn er in Zukunft
noch ruhig schlafen wollte.
Als die sichere Zuflucht der Grenadinen schon in
Sichtweite war, weihte er den Kapitän in seine Gedanken ein. Der beschränkte sich darauf, mit beiden Händen anzudeuten, wie gleichgültig ihm das war.
»Sobald dir das Schiff gehört, kannst du machen,
was du willst. Eines aber solltest du wissen: Wenn du einige von ihnen zum Teufel schickst, werden die anderen glauben, daß du vor ihnen Angst hattest,
und von da an kannst du von ihnen nur noch Verrat erwarten.« Er gab ihm einen herzlichen Handschlag, als wollte er seinem Sohn die letzten Ratschläge mit auf den Weg geben, und fuhr im gleichen Ton fort:
»Wer Kapitän eines Schiffs wie dieses sein will,
muß gleich vom ersten Tag an klar machen, was es
geschlagen hat. Wenn du das nicht schaffst, verzichtest du lieber gleich, bevor es zu spät ist.«
»Und wenn einer gegen mich rebelliert?«
»Dann hängst du ihn am Großmast auf. Dafür ist er da. Erst dann kommen die Segel.«
Das war eine seltsame Lebensanschauung, aber Se-
bastián Heredia mußte zugeben, daß es anders tat-
sächlich nicht ging, wenn er fünfzig zähnefletschende Seewölfe befehligen wollte. Wenn seine eigene
Aufgabe darin bestand, sich mit Gewalt fremdes
Eigentum anzueignen, dann mußte er akzeptieren,
daß ein anderer versuchen würde, ihm das seine ab-zunehmen. In diesem Fall konnte er nur mit gleicher Münze heimzahlen: mit Gewalt.
Wenn er den schweren Weg einschlug, Anführer
der Piraten zu werden, gab es nur eine Möglichkeit, Erfolg zu haben: Sie mußten ihn als ihren Besten
ansehen. Als sie im Morgengrauen vor der kargen
Insel Mayero Anker warfen, hatte er sich schon eine Lebensanschauung zu eigen gemacht, der er den
Rest seiner Tage treu bleiben sollte: Was immer er tat, er würde es mit seinem Gewissen vereinbaren
können, auch wenn es ihm nicht behagen sollte.
Er holte seine Perlen aus mehreren sicheren Ver-
stecken und betrachtete sie noch einmal, ohne daß ihm der Abschied leid getan hätte. Sie waren sehr schön, doch war er seit seiner frühesten Jugend daran gewöhnt, sie zu bewundern. Sie konnten noch so groß sein und die Menschen sie noch so schätzen,
sie waren doch nur runde Perlmuttkugeln, von denen es in den Untiefen rund um Margarita viele Tausende gab.
Nichts im Vergleich zu einem Schiff von vierzig
Metern Länge und über dreißig Kanonen.
Am gleichen Nachmittag befahl Kapitän Jack sei-
nen Männern, auf der weiten Fläche zwischen seiner Hütte und dem Meer Platz zu nehmen, er lehnte sich mühevoll gegen die Balustrade und musterte sie alle ausgiebig, bevor er begann:
»Viele Jahre lang habe ich euch befehligt, so gut ich es verstand, und ich muß zugeben, daß ihr mir gehorcht habt, so gut ihr konntet. Es waren gute Jahre, die uns reiche Schätze gebracht haben, doch für mich sind sie jetzt vorbei, ohne daß mich feindliche Kanonen in Stücke geschossen hätten.« Er lächelte etwas bitter: »Man könnte sagen, es ist der Moder unterhalb der Wasserlinie des Rumpfs, der mich
durchlöchert.«
Allgemeines Murmeln war zu hören. Die Männer
blickten sich bestürzt an, mußten sie doch fürchten, ihren »Arbeitsplatz« zu verlieren, doch der Schotte bedingte sich mit erhobenen Armen Ruhe aus und
fuhr etwas schelmisch blinzelnd fort.
»Ruhe! Ich werde zwar gehen, aber ihr habt bereits einen neuen Kapitän.« Er deutete auf den erwar-tungsvollen Sebastián Heredia und bekräftigte:
»Hier ist er!«
Jetzt schlug die Bestürzung der Männer in Entset-
zen, ja Ungläubigkeit um, und nach langem Tu-
scheln und manchen feindseligen Ausrufen trat der erste Steuermann, Zafiro Burman, einige Schritte
vor, um dem Mann, der bisher sein unbestrittener
Befehlshaber gewesen war, offen die Stirn zu bieten.
»Er…? Und warum gerade er?«
»Weil er der einzige ist, der mir das Schiff abkaufen kann.« Er sah ihm direkt in die Augen. »Kannst du das etwa?«
»Nein!« gab der andere zu und griff sich an den
riesigen Saphir, der an einer Halskette hing. »Das weißt du doch! Aber der ist doch nur ein Milch-bart…«
»Na schön…« versetzte der Schotte, als ginge ihn
diese Sache überhaupt nichts an. »Ich denke, das
wird sich zeigen. Auf jeden Fall hat er Perlen und du nur Läuse.« Er bedeutete Sebastián, auf die
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