Insel der Freibeuter
während ich mir früher den Luxus leisten
konnte, es über Bord zu werfen.«
»Aber Ihr werdet ohne die dauernde Furcht leben,
daß eine feindliche Flotte am Horizont auftaucht.«
»Wenn du lange Zeit auf der Jacare gesegelt bist, wirst du dich freuen, eine feindliche Flotte am Horizont zu erblicken«, lautete die gelassene Antwort. Er lächelte ein wenig, als lächelte er über seine intim-sten Erinnerungen. »Du wirst Furcht verspüren,
doch du wirst es auch genießen, wenn du merkst,
daß du ihnen trotz ihrer Kanonen auf der Nase her-umtanzen kannst, denn dieses verdammte Schiff ist wie eine Wespe, die tausend Mal ein störrisches
Maultier sticht, während dieses nur blind auskeilen kann.« Er ließ sich in seinen Sitz zurückfallen, und sein Gesichtsausdruck war voller Stolz. »Einmal
habe ich drei Galeonen vor San Juan versenkt, ohne daß man mir nur ein Segel zerrissen hätte.«
Der Junge nickte.
»Lucas Castano hat mir davon erzählt.«
»Er hat mutig gekämpft, und an diesem Tag habe
ich ihn zu meinem Adjutanten gemacht.« Wohlwol-
lend klopfte er ihm auf die Hand. »Vertrau ihm! Er ist der einzige an Bord, vor dem du immer sicher
sein wirst.«
»Ich weiß.«
»Als ich zum ersten Mal meine Flagge hißte, war
ich nicht so gut dran. Damals konnte ich noch keinem vertrauen. Und was die Fahne betrifft«, fügte er hinzu und deutete mit dem Kopf auf das Tuch, das
säuberlich gefaltet auf einer breiten Kommode aus Mahagoni lag. »Hier hast du sie! Paß gut darauf
auf!«
»Das werde ich. Jetzt ist sie meine.«
»Dann achte darauf, daß du sie niemals neben ei-
nem Korsaren flattern läßt«, murmelte der Schotte fast unhörbar. »Das wollen Patrioten sein, doch in Wirklichkeit sind es nur dreckige Mörder, denen es mehr Spaß macht, ein Schiff brennen und die Besatzung absaufen zu sehen, als es zu plündern, und wer so was tut, ist verrückt.« Er schnalzte mit der Zunge, als wollte er deutlich machen, wie sehr ihm das miß-
fiel. »Danach werden sie ausgewählt: Verrückte und Mörder, und um dem Ganzen noch die Krone aufzu-setzen, verleiht man ihnen noch Adelstitel, während man uns, die wir uns bemühen, die Leute zu schonen, aufhängen läßt.« Ein ums andere Mal schüttelte er den Kopf, als könnte er es einfach nicht fassen:
»Traurige Zeiten sind das, in denen die Dinge, die du raubst, mehr zählen als die Menschen, die du
umbringst. Ich versteh’s einfach nicht!«
Am Abend war die Küste nur noch einen Steinwurf
entfernt, und als es schon fast stockfinster war, ließ man eine kleine Schaluppe zu Wasser.
Der Schotte verabschiedete sich nach und nach von allen Männern, und als er vor Lucas Castano angelangt war, kam es zu einer rührenden Umarmung.
Schließlich baute er sich vor Sebastian auf und grüß-
te ihn fast militärisch:
»Viel Glück, Kapitän! Das Kommando gehört
Euch!«
»Viel Glück!«
Dann kletterte er die kurze Leiter hinunter, ergriff die Ruder und löste sich vom Schiff, bis die Dunkelheit der Nacht ihn einhüllte und man nur noch das rhythmische Klatschen des Wassers hörte.
Dann aber schallte aus der Ferne ein Ruf aus zit-
ternder Kehle herüber, so laut, als käme er aus dem Totenreich.
»Adios…!! Und gute Jagd…!!!«
»Adios, Kapitän…« schallte es im Chor zurück.
Als nur noch Stille und Dunkelheit herrschten, gab Sebastián Heredia Matamoros, der frischgebackene
Kapitän Jacare Jack, seinen ersten Befehl, der keinen Widerspruch duldete.
»Die Segel hoch! Kurs Südsüdwest…!«
Vor dem Golf von Biscaya und Kap Finisterre
wühlten heulende Stürme das Meer auf. Für die
Mannschaft, die an ein anderes Klima gewöhnt war, waren diese tobenden Unwetter eine schauerliche
Erfahrung, noch mehr aber für das Schiff, das für ganz andere Breiten konstruiert worden war.
Um Mitternacht brachen die Eisenklammern, die
den »falschen« Besanmast am Topp mit dem echten
verbanden. Ein Marsgast fiel über Bord und ver-
schwand. Er hatte die Taue des ins Wasser gefallenen Segels kappen wollen. Dieses hatte einen riesigen Sack gebildet, der das Schiff in Schieflage
brachte. Bei jedem schweren Brecher von der ande-
ren Seite drohte das Schiff zu kentern.
In diesen bangen Augenblicken mußte Sebastián
seinen ganzen Mut zusammennehmen, um nicht die
Nerven zu verlieren. Lucas Castano erwies sich wieder einmal als ein mit allen Wassern gewaschener
Seemann, der mit allen Situationen fertigwurde, oh-ne die Ruhe zu verlieren.
Zwei Kanonen, die
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