Insel der Freibeuter
nicht
mehr ruhig schlafen, wenn ich ihn am Leben lasse.«
»Ihn umzubringen nützt gar nichts, und vielleicht gehst du selber dabei drauf, und davon haben wir
auch nichts«, gab ihm das kluge Mädchen zu beden-
ken. »Töten wollen ihn viele, und daher hat er die halbe Garnison nach Cumaná mitgenommen, denn
nicht einmal dort fühlt er sich sicher.«
»Und was macht er dort?« fragte ihr Vater über-
rascht.
»Der Gouverneur hat ihn rufen lassen. Offensicht-
lich hat sich eine Gruppe entlaufener Sklaven in den Wäldern des Orinoco niedergelassen, und einige
sagen, daß es seine waren.«
»Ich weiß, daß sie es waren!« stellte Sebastian klar.
»Ich selbst habe sie befreit. Jetzt verstehe ich auch, warum ich in La Asuncion kaum Soldaten auf den
Straßen gesehen habe.«
»Keiner wird es wagen, La Asuncion anzugreifen.«
»Nicht mal dann, wenn in den Schatzkammern der
Casa ein Vermögen an Perlen liegt?«
»In diesem Jahr gibt es dort kaum Perlen«, gab ihm Celeste mit bedeutungsvollem Blick zu verstehen,
was den Bruder etwas verwirrte.
»Was willst du damit sagen? Ist die Flotte vielleicht schon angekommen?«
»Bisher nicht«, lautete die lächelnde Antwort, die ein amüsantes Geheimnis zu bergen schien. »Als
Hernando erfahren hat, daß ein Piratenschiff die
Küste unsicher macht, habe ich ihm eingeflüstert, daß es wesentlich sicherer wäre, die besten Perlen hier im Haus zu verstecken.«
»Nicht möglich!« rief Sebastian fassungslos aus.
»Hier? In diesem Haus?«
»Ganz genau! Es war nicht schwer, ihn davon zu
überzeugen, daß niemand auf die Idee käme, die
Perlen in einem kleinen Fäßchen zu suchen, das wiederum in einem riesigen Sherryfaß versteckt ist.« Sie lächelte schelmisch. »Und da sind sie immer noch
und warten darauf, daß sie sich einer holt.«
Ihr Vater blickte sie tadelnd an:
»Denkst du vielleicht daran, sie zu stehlen?«
Die Antwort kam spontan und unverblümt, wie es
Celeste stets gewesen war.
»Natürlich!« rief das Mädchen aus und schüttelte
belustigt die lange, dunkle Mähne. »Seit Jahren denke ich daran, und wenn diese Perlen verschwinden, weil Hernando sie gegen alle Vorschriften der Casa aus den Schatzkammern geholt hat, wird ihn diesel-be Casa für den Rest seines Lebens in das tiefste Verlies werfen lassen. Ich kenne ihre Methoden!«
»Du liebe Zeit!« griff sich ein niedergeschlagener Miguel Heredia Ximénez an den Kopf. »Jetzt habe
ich nicht nur einen Piraten zum Sohn, sondern auch noch eine Diebin zur Tochter. Wo soll das noch hin-führen?«
»Ich sehe mich nicht als Diebin, Vater«, wider-
sprach ihm seine Tochter ungerührt. »Für diese Perlen haben Hunderte geschuftet, die von diesen
Schweinen der Casa nur ausgebeutet werden. Ich
habe bestimmt eine sinnvollere Verwendung dafür.«
Voller Inbrunst küßte sie ihren Vater auf die Wange.
»Ich sehe sie als Entschädigung für die verlorenen Jahre.«
»Aber…!«
»Kein Aber!« unterbrach ihn Sebastián. »Ich bin in der Absicht gekommen, die Hauptstadt zu überfallen und mir die Perlen zu holen, denn meine Leute haben schon monatelang keine Beute mehr gesehen,
aber das macht es natürlich leichter…« Er wandte
sich seiner Schwester zu und fragte: »Wie viele sind es?«
»Etwas über zweitausend, aber alle prachtvoll.«
»Und hast du eine Idee, wie wir sie aus dem Haus
bringen?«
»Wie sie hineingekommen sind…!« erklärte das
Mädchen schulterzuckend, als wäre das die dümmste Frage der Welt. »In der Kutsche.«
»In der Kutsche des Gesandten der Casa de Contra-
tación von Sevilla?« wiederholte ihr Vater, dessen Fassungslosigkeit weiter wuchs. »Nicht möglich!«
»So geht es am besten«, gab Celeste zurück, in ihrem typischen ungerührten Ton, der die absurdesten Dinge völlig normal erscheinen ließ. »Jeden Tag
fahre ich mit der Kutsche zur Frühmesse des Fran-
ziskanerklosters. Ich kann mitnehmen, was ich will.«
»Begleitet dich denn deine Mutter nicht?«
»Früher schon, aber seit eine alte Frau sie beleidigt und bespuckt hat, nicht mehr.«
»Langsam habe ich den Eindruck, daß sie einen
allzu hohen Preis für das bezahlt, was sie getan hat«, flüsterte Miguel Heredia.
Die Tochter schüttelte sanft den Kopf:
»Für sie ist er nicht zu hoch. Sie kann spät aufstehen, essen, was sie mag, teure Kleider anziehen und eine Menge Diener haben. Dafür ist ihr kein Preis zu hoch.«
»Früher war sie nie so.«
»Vielleicht ist sie immer so gewesen, hatte
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