Insel der Freibeuter
aber nie Gelegenheit, es zu zeigen. Nichts macht ihr mehr
Spaß, als Leute herumzukommandieren, die ihr aufs Wort gehorchen.«
»Haßt du sie?«
Celeste Heredia wandte sich ihrem Bruder zu, der
die Frage gestellt hatte, und schüttelte ohne Groll den Kopf.
»Eine Zeitlang habe ich sie für das gehaßt, was sie uns angetan hat und weil es mich anwiderte, daß sie sich wie eine läufige Hündin aufführte, um Hernando bei Laune zu halten, aber das ist vorbei. Heute kann ich sie nur noch bemitleiden, weil sie zusehen muß, wie ihr die Felle wegschwimmen. Ich bin sicher, daß sie mich als rettenden Strohhalm ansieht.«
Sie schüttelte den Kopf, als machte es ihr Mühe, die Realität zu akzeptieren. »Ich, der ich all die Jahre ihr Alptraum war, weil ich sie allein durch meine Anwesenheit an ihr Verhalten erinnert habe, bin jetzt ihre einzige Hoffnung. Man sollte es nicht glauben!«
»Sprechen wir nicht mehr von ihr«, schloß ihr Va-
ter das leidige Thema ab. »Das führt zu nichts, und die Erinnerung an Dinge, die wir ein für allemal
vergessen sollten, verbittert uns nur.« Er ergriff die Hände der beiden. »Jetzt sind wir alle zusammen,
und so soll es bleiben, mit oder ohne Perlen.«
»Mit den Perlen«, erwiderte seine Tochter. »Ent-
weder nehme ich sie mit, oder ich esse sie auf, aber zurück lasse ich sie auf keinen Fall.«
»Einverstanden! Dann also mit den Perlen…«
»Also schön«, bemerkte Sebastián. »In diesem Fall bleibst du am besten hier, damit dich keiner in La Asuncion erkennt.« Er wandte sich seiner Schwester zu. »Samstag nacht nimmt mich das Schiff am
Strand von Manzanillo auf. Der ideale Tag, um zur Messe zu gehen.«
»Das wird die schönste Messe meines Lebens«,
lachte sie. »Bei Gott! Seit Jahren zerbreche ich mir den Kopf über meine Rache, aber daß sie so perfekt sein würde, hätte ich nie gedacht. Was für ein Gesicht wird er machen, wenn er entdeckt, daß sein
unschuldiges Täubchen ausgeflogen ist und ihn ge-
rupft hat statt er sie! Und wie wird er dreinschauen, wenn ihn der Gouverneur wieder nach Cumaná ruft
und fragt, wo die Perlen geblieben sind!«
»Bist du sicher, daß sie ihn einsperren werden?«
»Für den Rest seines Lebens…! Und es wäre ein
Wunder, wenn sie ihn nicht aufhängen. Die Casa
versteht keinen Spaß, wenn es um ihre Interessen
geht. Ein Gesandter kann berauben, wen er will, aber nicht sich selbst berauben lassen.« Wieder nahm sie das Gesicht des Bruders in die Hände, um ihm einen weiteren geräuschvollen Kuß aufzudrücken. »Ich
bete dich an!« rief sie aus.
Eine Stunde später sagte sie ihnen, daß sie gehen müsse, ansonsten würde ihre Mutter lästige Fragen stellen. Kurz darauf verabschiedete sich auch Sebastián von seinem Vater, um ohne Hast in die Stadt zurückzukehren.
Während er dem staubigen Weg folgte, den er tags
zuvor viel mutloser gegangen war, konnte er seine überschwengliche Freude darüber nicht unterdrük-ken, welch glückliche Wendung sein Leben in so
kurzer Zeit genommen hatte. Als er am Herrenhaus
vorbeiging, bedrückte ihn allerdings der Gedanke, seiner Mutter zu begegnen, doch mehr noch machte
ihm seine Schwester zu schaffen.
Die Jahre der Trennung, der Luxus und der Einfluß Fremder hätten aus Celeste ein hochmütiges Mädchen machen können, das von einem armseligen,
verrückt gewordenen Vater und von einem Bruder,
auf dessen Kopf ein Preis ausgesetzt war, nichts
mehr wissen wollte. Doch aus einem unerfindlichen Grund war sie immer noch das zärtliche, impulsive und anhängliche Mädchen, das ihn wie ein Schatten überallhin verfolgt hatte, als hätte die Zeit bei ihr keinerlei Spuren hinterlassen.
Ihre fröhliche, spontane und unbekümmerte Art
hatte offensichtlich auch bei ihrem Vater ein er-
staunliches Wunder bewirkt. Allein die Tatsache, sie wiedergefunden zu haben, schien den unglücklichen Miguel Heredia für alle Leiden zu entschädigen und wie eine wohltuende Seebrise die schwarzen Gedanken zu verscheuchen, die ihn an den Rand der gei-
stigen Umnachtung getrieben hatten.
Während er über sie nachdachte, mußte Sebastian
an ein altes Lied denken, das die Matrosen sangen, wenn sie auf den höchsten Mast kletterten. Es handelte von Männern, die auf See verlorengehen und
bei ihrer Rückkehr in den Hafen feststellen, daß
nichts sich in den Jahren der Abwesenheit geändert hat. Der Urheber dieser traurigen Ballade mußte
etwas von einem Propheten gehabt haben, denn in
gewisser
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