Insel der Freibeuter
es! Amüsier dich!«
»Darauf könnt Ihr Gift nehmen!«
Überrascht sah Sebastian mit an, wie der Koch einfach über Bord sprang und wie ein Fisch auf die
Lichter einer Stadt zuschwamm, in der ihn alle Zerstreuungen erwarteten, von denen ein Mann, der bei klarem Verstand war, nur träumen konnte. Einige
Augenblicke lang verspürte Sebastian den drängen-
den Wunsch, es dem Koch gleichzutun, doch hielt er sich zurück. Er wußte, wenn er es täte, würde er zur Schenke der Tausend Jakobiner marschieren, die
rote Astrid an der Hand nehmen und zum Strand
schleppen, um sie dort bis zum Morgengrauen auf
dem Sand zu lieben.
So beließ er es dabei, einige Minuten an die genuß-
volle vergangene Nacht zu denken, und ging an-
schließend jedes Detail seines Plans noch einmal
durch. Er würde alles Glück der Welt brauchen, um ihn zu einem guten Ende zu bringen.
Drei Stunden später nahm Lucas Castano, der nach
Rum und billigem Parfüm roch, neben ihm Platz und grinste von einem Ohr zum anderen.
»Ich habe sie gesehen. Und wir haben geredet. Du
hattest recht: Man kriegt Lust, sie aufzufressen.«
Sein Kapitän warf ihm einen undefinierbaren Blick zu. Lucas lächelte nur und machte eine abwehrende Handbewegung.
»Mach dir keine Sorgen. Ich hab sie nicht ange-
rührt. Ich hab’s mit einer Chinesin gemacht. Bei
Chinesinnen werde ich immer schwach.« Er schlug
ihm kräftig auf die Schulter. »Und ich hab gemerkt, daß du ihr gefällst! Verdammt gut gefällst! Als ich ihr erzählt habe, daß ich auf der Jacare fahre, hat sie ganz leuchtende Augen gekriegt, und sie war ganz
enttäuscht, daß du nicht kommen kannst, weil du
Wachdienst hast.« Er lehnte sich zurück. »Wahr-
scheinlich habe ich mich deshalb für die Chinesin entschieden.«
»Was hat sie dich noch gefragt?«
»Ob ich gern eine andere Arbeit hätte, aber natürlich wollte sie mich über das Schiff und den alten Kapitän aushorchen.«
»Also hat sie den Haken geschluckt.«
»Mit allem, was dazugehört. Jetzt kommt es darauf an, daß Mombars ihn ebenfalls schluckt.«
»Und wenn er das tut, aber sich dazu entschließt, an Bord zu stürmen und sich die Routenbücher mit
Gewalt zu holen?«
»Mitten in der Bucht von Port-Royal?« fragte der
Panamese ungläubig zurück. »Vergiß es! Das traut
sich nicht einmal der Todesengel. Dieser Ort ist für alle Piraten, Korsaren, Freibeuter und Bukaniere der Welt heilig. Die einzige echte heilige Stätte, die es auf Erden noch gibt.«
»Schon merkwürdig, nicht?« bemerkte der Kapitän.
»Hier versammeln sich so viele Verbrecher wie nirgendwo sonst, und doch ist das hier der einzige Ort, in dem ein ehrbarer Mensch sich sicher fühlen
kann.«
Lucas Castano ließ ein rumseliges Lachen hören.
»Du kannst sicher sein, daß es in dieser wunderbaren Stadt zur Zeit keinen einzigen ehrlichen Men-
schen gibt. Der würde uns schließlich alle ausrauben. Ich leg mich schlafen. Der Köder ist ausgelegt, jetzt müssen wir Geduld haben.«
»Geduld« war ein Wort, das im Vokabular eines
kaum Vierundzwanzigjährigen nicht vorgesehen
war, und Sebastián Heredia machte da keine Aus-
nahme, auch wenn die Zeit an Bord der Jacare ihn
gelehrt hatte, Stunden und Tage damit zu verbrin-
gen, den Horizont nach einer Beute abzusuchen.
Piraten und Korsaren waren im Prinzip nur Fischer, die Schiffe angelten und ständig auf ihre Opfer lauerten, doch in diesem Fall wußte der Margariteno
schon im voraus, daß das Opfer ein harter Brocken sein würde. Nicht nur, weil es sich um eines der
mächtigsten Schiffe der Karibik handelte, sondern weil der Kapitän als bestialischster aller Verbrecher galt.
Mombars – seinen richtigen Namen kannte nie-
mand – hatte den größten Teil seines Lebens damit verbracht, den Spaniern die Eingeweide herauszu-reißen, nur weil es ihm Spaß machte oder weil ihn die unausgewogenen Berichte eines erleuchteten
Geistlichen so verwirrt hatten, bis aus ihm ein blutrünstiger Fanatiker geworden war.
Als der junge Mombars Bartolome de Las Casas
las, hätte er wissen sollen, daß dieser, bevor er sich zum Schutzpatron der Indios und zum unseligen
Urheber der zu trauriger Berühmtheit gelangten
»Schwarzen Legende« wandelte, der größte Skla-
venhändler auf Hispaniola gewesen war und maß-
geblich am ungerechten und grausamen Kommen-
dengesetz beteiligt war, das sein guter Freund und Gouverneur Ovando eingeführt hatte. Hätte Mombars begriffen, daß man die Berichte von Las Casas
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