Insel der Freibeuter
nur und zeigte dabei ihr lückenhaftes Gebiß.
»Auf Tortuga haben sie alle Erfahrung. Aber Ab-
schaum sind sie auch alle.«
In der gleichen Nacht zeigte sie, daß sie sehr gut wußte, wovon sie sprach. Von den hundert Vagabunden, die sich in der Schenke beim Kapitän der
Botafumeiro vorstellten, hatten die meisten mehr als genug Erfahrung, aber sie waren auch echter Abschaum.
Rum, Hunger, Skorbut, Syphilis und einige berau-
schende Pilze, die einen halb verrückt machten, hatte diese herrenlose Bande in ein Panoptikum menschlichen Abfalls verwandelt, der aber allen Enthusiasmus zeigte, die geringste Gelegenheit beim Schopf zu packen und einen kahlen Felsen zu verlassen, von dem sie sich nichts mehr erhoffen konnten.
»Die Bezahlung ist gut«, ermahnte der Portugiese
einen nach dem anderen, der vor ihm Platz nahm.
»Aber wenn du dich entschließt, bei mir anzuheuern, mußt du folgendes wissen: Alkohol, Pilze, Glücksspiel und Frauen sind an Bord verboten. Und bei mir gibt es nur eine einzige Strafe: Dem Missetäter reiße ich einen Zahn aus. Je schwerer das Vergehen, desto mehr Zähne. Und wenn keine Zähne mehr da sind,
hänge ich ihn auf. Geh, und denk darüber nach.
Wenn du mit der Arbeit und dem Reglement einver-
standen bist, dann komm morgen an Bord.«
Sebastián Heredia nahm wieder die nicht uneigen-
nützig -aber offensichtlich enthusiastisch – gewährten Dienste der roten Astrid in Anspruch. Nachdem sie sich lange Zeit im riesigen Bett der Hütte geliebt, gestreichelt und gewälzt hatten, ließen sie sich im Sand des Strands nieder, um eine der riesigen stinkenden Zigarren zu teilen, die das Mädchen so gern rauchte.
»Hast du dir meinen Vorschlag von gestern nacht
noch einmal durch den Kopf gehen lassen?« wollte
die Hure wissen, während sie die Millionen Sterne betrachtete, die über ihren Köpfen funkelten. »Die Sache mit Mombars?«
»Hör mal, meine Liebe…«, entgegnete der Marga-
riteno, als wolle er sich in Geduld üben, um sich den angenehmen Augenblick nicht verderben zu lassen.
»Ich habe dir schon gesagt, daß ich eine gute Arbeit an Bord eines guten Schiffs habe. Warum soll ich
mir das Leben komplizieren?«
»Was ist das denn für ein Schiff?«
»Die Jacare.«
»Die Jacare?« fragte Astrid überrascht und stützte sich auf einen Ellenbogen, um ihn besser betrachten zu können. »Dieser armselige Kahn da draußen in
der Bucht? Das nennst du ein >gutes Schiff«
»Das beste.«
»Daß ich nicht lache! Diese Nußschale versenkt die la de Dios doch mit einer Breitseite.«
»Das muß sich erst mal zeigen!« gab Kapitän Jaca-
re Jack herausfordernd zurück und sah ihr direkt in die Augen. »Was die Jacare ausmacht, sind nicht
ihre Kanonen, sondern etwas, was kein anderes
Schiff hat.«
»Und das wäre?«
»Sicherheit.« Er wies auf die Bucht hinter ihrem
Rücken hinaus. »Die Jacare ist das einzige Schiff, das schon über zwanzig Jahre lang auf Jagd geht,
ohne daß ihr je auch nur das Geringste passiert wäre.
Hundert Kanonen an Bord helfen dir gar nichts,
wenn ein einziger Felsen dein Schiff binnen Sekunden versenken kann, und das wird der Jacare niemals passieren.«
»Und warum nicht? Sie ist doch nicht unsinkbar.«
»Das nicht, Kleine. Unsinkbar ist sie nicht, aber der Alte besitzt die beste Sammlung Routenbücher der
Antillen. Mit dem, was er in seiner Kajüte aufbe-
wahrt, könnte man mit geschlossenen Augen gefahr-
los bis in den letzten Winkel der Karibik segeln.«
»Wie ist er in deren Besitz gelangt?«
»Reiner Zufall! Eines Nachts hat er einen getarnten Pott geentert, auf dem man das Archiv von Sevilla dem Hafenkommandanten von San Juan schickte.
Was wie eine große Kiste mit alten Büchern aussah, war in Wahrheit der größte Schatz, von dem ein Pirat nur träumen kann.« Er ließ sich wieder auf den Sand fallen, als hielte er die Diskussion damit für beendet. »Aus diesem Grund wird die Jacare das
beste Schiff der Antillen bleiben, bis sie irgendwann auseinanderfällt.«
»Verdammte Hure, die mich geboren hat!« rief die
schamlose Rothaarige aus. »Wenn das stimmt, dann
zahlt jeder Kapitän eine Million Pfund für dieses Archiv. Hast du daran noch nie gedacht?«
»Natürlich, mein Schatz! Natürlich! Aber der Alte sitzt in seiner Kajüte wie eine Glucke über den Bü-
chern. Beim geringsten Anzeichen von Gefahr läßt
er sie ins Meer fallen, denn er ist der einzige, der sie hier oben hat, in seinem Kopf.« Ein ums andere Mal tippte
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