Insel der Freibeuter
und ich garantiere dir, daß ihm sofort die Lust darauf vergeht.« Er schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Und jetzt leg ich mich schlafen.
Rum, Tabak und die Rothaarige haben mich ge-
schafft.«
Den ganzen Tag über ruhte er sich aus wie der Rest der Flotte, der in der Bucht ankerte. Am Abend versammelte er seine gesamte Besatzung vor dem Ach-
terkastell.
»Wie ihr wißt, ist meine Schwester nicht mehr an
Bord, also kann uns auch das Pech nicht mehr ver-
folgen, fetzt möchte ich, daß ihr nach wie vor jedem, der euch danach fragt, versichert, daß sich der Kapitän immer noch in seiner Kajüte eingeschlossen hat.
Den Grund dafür kann ich euch nicht erklären, doch eins verspreche ich euch: Wenn ihr mir aufs Wort
gehorcht, kann ich euch die wertvollste Beute verschaffen, von der ihr je geträumt habt.«
»Was für eine Beute denn?« wollte Mubarrak el
Moro, der zweite Steuermann, sofort wissen, ein
maßloser Schürzenjäger, der deswegen stets pleite war.
»Beute ist Beute«, tönte es barsch zurück. »Und
mit dem Anteil, der dir zusteht, kannst du dir einen eigenen Harem leisten, bis du keinen mehr hoch-kriegst.«
»Allah möge dich erhören.«
»Tu, was ich sage, und er wird mich erhören.«
Als die meisten schon dabei waren, zum Strand zu
rudern, wandte er sich Lucas Castano zu.
»Jetzt bist du dran. Aber sieh dich vor. Die ist nicht blöd.«
»Kann ich sie mir vornehmen?«
Der Margariteno warf ihm einen Blick zu, den man
als Bitte oder Widerspruch auffassen konnte.
»Mensch Lucas! Bei dem Angebot von Frauen…!«
»Na ja, du hast sie so über den grünen Klee ge-
lobt.« Er lachte schelmisch. »Und wenn nicht ich, dann besorgt es ihr ein anderer.«
»Mach, was du willst, aber behalt’s für dich. Und jetzt hau ab, und paß auf, daß alles wie ein Zufall wirkt.«
Es war dunkel geworden, und in der Bucht spiegel-
ten sich die Lichter der Stadt. Kaum war das Boot von Lucas Castano aus dem Blick verschwunden,
begann eine romantische Musik zu spielen, die wie immer vom hohen Deck des Schiffs von Laurent de
Graaf herüberwehte.
Sebastián aß allein zu Abend. Dabei vermißte er
seinen Vater und seine Schwester. Heute begann für die beiden ein Leben in Sicherheit, und was immer auch geschehen mochte, immer würden zwei Menschen auf seine Rückkehr warten. Seine Existenz
gewann plötzlich eine neue Dimension. Jetzt war er kein armer Junge mehr, der dazu verdammt war,
einen alten Kranken zu pflegen, sondern ein Piratenkapitän mit Familie.
Eines schönen Tages würde er vielleicht irgendwo
eine bezaubernde Frau treffen und mit ihr ein weniger unruhiges Schicksal teilen. Und vielleicht würde auch Celeste eines Tages einem ehrlichen Mann
begegnen, der ihr das Glück schenken konnte, das
sie so sehr verdiente.
Sein Vater, jener unglückliche Mann, der Jahre
damit verbracht hatte, am Rand des Wahnsinns an
Bord Macheten zu schleifen, könnte dann einen
friedvollen Lebensabend im Kreis seiner Enkelkin-
der verbringen. Mit etwas Glück würden auch die
alten Wunden verheilen und das Bild von Emiliana
Matamoros würde endgültig in seiner Erinnerung
verblassen.
Keine Sekunde verschwendete Sebastian bei dieser
Gelegenheit an seine Mutter. Lieber dachte er ge-
nüßlich daran, wie wohl die Zukunft von Don Her-
nando Pedrárias aussehen mochte. Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, wenn er daran dachte, daß dieser mit etwas Glück in einem feuchten Kerker der Casa für seine Verbrechen büßte.
Was für ein Gesicht mochte er wohl gemacht ha-
ben, als er entdecken mußte, daß sein Perlenfäßchen verschwunden war?
Und wie mochte er reagiert haben, als er erfahren hatte, daß sich seine geliebte Kutsche in ein Häuf-chen Asche verwandelt hatte?
Und was mochte er in seinem Innersten empfunden
haben, als ihm klar wurde, daß er das aufregende
junge Mädchen, das er hatte verderben wollen, niemals wiedersehen würde?
Rache, süße Rache: Das war ein Leckerbissen, den
man wirklich auf dem Achterkastell eines in einer stillen Bucht ankernden Schiffs genießen konnte, mit einem Glas Rum in der Hand, während der Mond
aufging.
»Kann ich an Land gehen, Kapitän?«
Er sah den dienstfertigen Koch an, der ihm die Fra-ge gestellt hatte, und nickte zustimmend.
»Natürlich! Aber denk an den Befehl.«
»Ich werde daran denken, Kapitän«, sagte der klei-ne Filipino. »Der alte Kapitän ist verrückt geworden und will nicht, daß man ihn besucht.«
»So ist
Weitere Kostenlose Bücher