Insel der glühenden Sonne
»Was ist denn nun mit mir, Sir?«, fragte sie freundlich, doch er verzog das Gesicht und sagte etwas nach hinten zu seinem Kollegen, das gewiss obszön war und mit Lachen und anzüglichen Blicken quittiert wurde.
Glenna wandte sich errötend ab, und eine Frau sagte laut: »Kümmern Sie sich nicht um die, Kleines. Für so was sind Sie zu gut.«
Dann rief man ihren Namen auf, und Glenna rannte beinahe den Korridor entlang zu einer schweren Tür, die geöffnet und hinter ihr wieder abgeschlossen wurde. Ihr lief die Zeit davon. Man führte sie in ein kahles Zimmer, das keinerlei Möbel enthielt und dessen schmales Fenster vergittert war.
»Ist das seine Zelle?«, fragte sie ungläubig, doch die Tür schlug schon zu. Da sie nicht abgeschlossen war, schlich Glenna hin und wollte sie gerade ein wenig öffnen, um Luft hereinzulassen, doch in diesem Moment stieß man Sean wie einen Sack Kartoffeln herein.
Er trug Fußeisen, hatte die Hände auf den Rücken gefesselt und fiel beinahe hin, doch Glenna fing ihn auf, und sein Mund presste sich auf ihren, suchend, forschend. Sie geriet außer sich.
»Du bist immer noch so schön, was immer sie dir auch antun mögen.« Dann fiel ihr ein, dass er oft gesagt hatte, Schönheit sei nichts für Männer.
»Mein Gott, ich liebe dich so«, sagte Sean und versuchte, sie mit gefesselten Armen an sich zu drücken. »Ich wäre gestorben, wenn du dich nicht von mir verabschiedet hättest.«
»Es ist kein Abschied«, rief sie, als er zur Wand hinüberschlurfte und sich dagegen lehnte. »Du kommst wieder, das spüre ich. Und ich werde nie aufhören, dich zu lieben, Sean, niemals.«
Sie klammerte sich an ihn, sie küssten sich stürmisch, als hörten sie die Uhr ticken. Glenna knöpfte die Bluse auf, bot ihm ihre nackten Brüste dar, tastete nach seinem Geschlecht, wollte ihm einen kurzen Genuss bereiten. Noch nie war sie so kühn gewesen, hatte sich nie so freizügig gezeigt, und er stöhnte auf, beteuerte wieder und wieder seine Liebe, sein Bedauern, dass es so weit gekommen war. Dann flog die Tür auf, und der grinsende Wärter stand auf der Schwelle. Sean trat vor Glenna, damit sie die Knöpfe ihrer Bluse schließen konnte, und wunderte sich, dass es sie überhaupt nicht zu kümmern schien, ob der Wärter sie beobachtet hatte.
Sean küsste sie lange und zärtlich, bevor man ihn abführte. Wie betäubt verließ Glenna die Zelle, holte ihre Besitztümer ab und wartete auf Mr. O’Neill, der bald nachkam.
»Sie fahren morgen«, sagte er mit heiserer Stimme. »Beide.«
Glenna schlug den Mantelkragen hoch, um ihre Tränen zu verbergen.
Themse, Oktober 1832
Eine der heruntergekommenen Hulks, die auf der Themse schaukelten, trug noch den stolzen Namen Earl of Mar , hatte aber ihre glorreiche Zeit als Kriegsschiff lange hinter sich. Heute beherbergte sie den Überschuss der Londoner Gefängnisse. Die Männer wohnten an Bord und wurden täglich an Land geschickt, um in einer als Bosney Flats bekannten Niederung Sümpfe trockenzulegen. Hier sollte Land aufgeschüttet werden, damit Schiffe mit größerem Tiefgang die Kais besser erreichen konnten.
Niemand außer den unglücklichen Gefangenen schien zu merken, dass es an diesem Morgen schneite und das schlammige Wasser mit einer Eisschicht bedeckt war. Die Aufseher waren bis zur Nasenspitze vermummt und trieben die Männer zur Eile an.
Angus McLeod, der früher in Glasgow gelebt hatte, watete ins knietiefe Wasser und zerrte dabei ein Floß hinter sich her, auf dem das gerodete Schilf abtransportiert wurde. Er lauschte den Flüchen seiner frierenden Kameraden. Welche Ironie, dachte er. Sechs Monate zuvor hatte man ihn zur Deportation nach Van Diemen’s Land verurteilt, weil er gegen die unerträglichen Arbeitsbedingungen der Arbeiter protestiert hatte, und heute schufteten er und die anderen Sträflinge unter weitaus schlimmeren Bedingungen als die Armen in den Glasgower Slums.
Er beklagte sich bei George Smith bitterlich über die Behandlung. George lachte nur wie über einen Witz, doch Angus fand nichts Witziges an den Grausamkeiten, die sie erduldeten, den langen Arbeitszeiten und kargen Rationen, bei denen man nur verhungern konnte. Er behauptete, Gefangene besäßen Rechte, sie dürften sogar
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