Insel der Nyx: Insel der Nyx, Die Prophezeiung der Götter
Seite. Hieß das, er wusste nichts von den Mythen, die sich die Menschen seit Jahrtausenden erzählten? Wo, zum Teufel, war er aufgewachsen? Und wie lange war er schon auf dieser Insel, wenn er solche Dinge noch nie gehört hatte. Anstatt ihm zu antworten, wandte sie sich wieder dem Tal zu.
Plötzlich entdeckte sie noch etwas: Ganz hinten sah der Dschungel seltsam aus. Sie war sich fast sicher, dass die Erhebung am Ende des Tals ein weiterer Berg war, aber davor erschien das Grün heller und flacher und dazwischen lagen braune Sprenkel, die ihr merkwürdig quadratisch erschienen. Fast wie Hütten oder kleine Häuser, inmitten von grünen Wiesen. Doch auch dieses Grün variierte und war ebenfalls in einem Karomuster angeordnet. Wie Felder, auf denen etwas angebaut wurde.
Elenis Schwindel nahm zu. »Leben dort hinten Menschen?«
Makaio stieß überrascht die Luft aus. Er folgte ihrem Blick und legte die Hand über die Augen. »Ich weiß es nicht.«
»Hast du hier denn schon mal Menschen gesehen?«
Makaio antwortete nicht. Er blickte nur immer weiter in die Ferne, als könnte er jemanden erkennen, wenn er nur lange genug schaute. Aber dafür war es wirklich zu weit entfernt.
Vielleicht waren das dort hinten auch die Schatten? Eleni erinnerte sich daran, was Philine vermutet hatte: Ihrer Meinung nach sahen die Schatten auf der Insel womöglich menschlicher aus. Vielleicht wohnten sie auch in Hütten und bauten Nahrung an?
Andererseits hatte Philine auch vermutet, dass Makaio einer der Schatten sein könnte – aber er war es nicht, zumindest war er in der Nacht nicht mit ihnen davongeflogen.
»Wenn du hier noch keine Menschen gesehen hast ...«, Eleni sprach langsam, »bist du schon mal den Schattengestalten begegnet, die hier auf der Insel leben? Ich meine die Kreaturen, die in der Dämmerung aufsteigen und von der Insel fliegen?«
Für einen Moment schien es, als würde Makaio ihr schon wieder nicht antworten. Aber schließlich sah er sie an. Furcht lag in seinem Blick. »Manchmal kommen sie in der Nacht, wenn ich schlafe.«
Eleni schauderte. »Wenn du schläfst? Tun sie dir was?«
Makaio blickte wieder in die Weite und zuckte mit den Schultern.
Eleni ahnte, dass er nicht vorhatte, noch mehr darüber zu erzählen. »Und die Menschen?«, fragte sie vorsichtig. »Dubist hier allein. Vermisst du es nicht manchmal, in Gesellschaft anderer zu sein?«
Makaio stieß ein leises Lachen aus. »Mit Menschen ist es genauso wie mit Tieren.« Er sah sie wieder an, Bitterkeit spielte um seinen Mund. »Falls das dort hinten wirklich Menschen sind, sollte ich mich lieber von ihrem Revier fernhalten.«
Eleni hielt die Luft an. »Willst du nicht wenigstens herausfinden, wer dort wohnt? Vielleicht sind sie freundlich und du könntest mit ihnen zusammenleben?«
Makaio blickte nach unten, seine nackten Füße scharrten über den Boden. »Es mag sein, dass die meisten Menschen gerne mit anderen Menschen zusammen sind.« Plötzlich klang seine Stimme traurig. »Aber es gibt auch Menschen, die besser für sich bleiben und niemandem über den Weg laufen.«
Als er sie wieder ansah, erschien er verloren, so einsam wie an dem ersten Tag, als er auf den Felsen gestanden und ihnen nachgesehen hatte.
»Heißt das, du willst allein sein?« Eleni konnte nur noch flüstern.
Makaio nickte.
Ein dumpfes Gefühl setzte sich in Elenis Kehle. Sie versuchte, es hinunterzuschlucken. »Warum?«
Makaios Füße scharrten wieder über den Boden, die Haare fielen in sein Gesicht. Eine ganze Weile druckste er herum, ehe er ins Leere hauchte: »Weil ich gefährlich bin.«
Eleni hielt den Atem an. Hatte er das wirklich gerade gesagt? »Gefährlich?«
Plötzlich sah er sie an, so direkt, als wäre jetzt der Momentgekommen, in dem er über sie herfallen wollte. »Ja! Gefährlich! Ich bin nicht so wie andere. Für mich ist es leichter, Menschen zu töten, als sie nicht zu töten.«
Eleni wich vor ihm zurück. Da war es wieder: Er war ein Nix, eine Kreatur, die Menschenfleisch fraß! Doch seine Augen schimmerten unglücklich. Er wollte es nicht! Er wollte niemanden töten!
War er deshalb vor ihr zurückgewichen, nachdem sie ans Flussufer gekrochen waren? Weil er plötzlich das Bedürfnis gehabt hatte, sie zu fressen? War er deshalb so launisch und manchmal so wütend? Weil er die ganze Zeit gegen den Drang ankämpfte, sie zu töten?
Ob er auch das zugeben würde, wenn sie ihn fragte?
»Und es gibt Menschen«, flüsterte sie, »die sind überhaupt
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