Insel der Nyx: Insel der Nyx, Die Prophezeiung der Götter
Boden, über den sie eben noch gelaufen waren, dampfte. Hastig sprang sie auf und lief nach draußen. Sie wollte selbst die Sonne spüren, wollte sich von dem dunklen Moment erholen und in der frischen Luft aufatmen.
Gerade als sie am Rand des Abgrundes stand und über das Nebeltal blickte, bemerkte sie eine Bewegung aus ihren Augenwinkeln.
Makaio kehrte zurück. Er war tropfnass, von oben bis unten.Seine Haare hingen strähnig in sein Gesicht, die Fellbeutel an seinem Gürtel sahen aus wie nasse Katzen und selbst von seiner Haut stieg Dampf auf. Eine dünne Nebelwolke umhüllte seine Gestalt, als wäre gerade ein Feuer auf seiner Haut gelöscht worden. Aber er strahlte, während er auf sie zukam. Es war ein so ehrliches Lächeln, mit dem er Eleni tatsächlich zum Schmunzeln brachte.
Triumphierend hielt er ihr seine Beute entgegen, einen hühnerähnlichen Vogel, der kopfüber nach unten baumelte.
Eleni wollte das tote Tier nicht näher ansehen. Auch während Makaio den Vogel rupfte und zubereitete, hielt sie sich lieber von ihm fern. Doch als ihr Mittagessen schließlich über dem Feuer brutzelte und ein würziger Fleischgeruch an ihr vorbeiwehte, tanzte ihr knurrender Magen vor Freude.
Wenn man hier überleben wollte, musste man sich wohl daran gewöhnen, dass Essen nicht im Supermarkt geboren wurde und erst recht nicht von allein auf ihren Teller sprang.
Genauso leicht konnte man jedoch selbst zu dem Futter der anderen werden. »Ist das Raubtier noch hinter uns her?«
Makaio drehte seelenruhig an dem Spieß, auf dem ihr Vogelbraten über dem Feuer hing. »Ich habe lange nichts Verdächtiges mehr gehört. Vermutlich hat der Regen unsere Spuren verwischt.« Er hob den Kopf und lächelte ihr tröstlich zu. »Und selbst wenn nicht: Solange das Feuer neben uns brennt, wird sich jede Raubkatze von uns fernhalten. Also nehmen wir uns eine kleine Pause, bis wir wieder satt sind.«
Eine Raubkatze also. Das war der Verfolger, mit dem Makaio rechnete. Wenn das so war, war Eleni sich nicht sicher, ob sie ein Feuer trösten konnte. Vermutlich gab es nichts, was sie jetzt trösten konnte. Sie wollte keine Pausen mehr, sie musstenvorankommen, in Philines Richtung. Aber Eleni sah ein, wie sinnlos ihre Wanderung war, solange sie nicht wussten, wo ihre Freundin versteckt wurde.
Wann würde dieser Pegasus nur endlich wiederkommen? Sie waren von ihrem Treffpunkt weggelaufen. Ob er sie überhaupt wiederfinden würde?
Um irgendetwas zu tun, trat Eleni wieder an den Rand des Abgrundes und blickte über das Tal. Der Dampf hatte sich inzwischen in der Sonne aufgelöst und das Dschungelmeer zeigte seine volle Größe, fast bis zum Horizont. Eleni entdeckte eine Reihe von Wasserläufen, die sich dort unten zwischen den Bäumen entlangzogen. An einigen Stellen waren sie breit wie ein Fluss, an anderen schmal wie ein Bach. Mancherorts verbreiterten sich die Bachläufe zu grünen Tümpeln und kleinen Seen, und dann wieder wurden sie so schmal, dass nur die Anordnung der Baumriesen sie erahnen ließ. Doch in all dem bunten Durcheinander erkannte Eleni schließlich eine Struktur, eine Regelmäßigkeit, die es in einem wilden Dschungel wie diesem gar nicht geben dürfte: Die Wasserläufe, so unterschiedlich sie auch waren, bildeten ein Karomuster, das die Ebene in gleich große Baumfelder aufteilte.
»Atlantis!« Eleni keuchte auf. Genau das hatte Philine aus ihrem Internetartikel vorgelesen: dass es im Zentrum von Atlantis eine weite, zentrale Ebene gab, die von rechtwinkligen Kanälen durchzogen wurde.
Dies hier war der Beweis! Sie waren auf Atlantis, oder besser gesagt auf der Insel, die vor mehr als elftausend Jahren Atlantis gewesen war. Nur die Zivilisation, die es damals hier gegeben hatte, war verschwunden. Der Dschungel hatte sich die Insel zurückerobert und vermutlich selbst die letztenmenschlichen Trümmer weit unter seinen Wurzeln begraben.
Wenn ihre Mutter jetzt hier wäre ... wenn sie sehen könnte, dass hier der Ort war, an dem sie Atlantis ausgraben könnte ...
»Wir haben Atlantis gefunden«, murmelte Eleni vor sich hin.
»Was ist los? Alles in Ordnung?« Makaio klang besorgt.
Eleni fuhr zu ihm herum. Leiser Schwindel wehte durch ihre Gedanken. Das alles konnte nicht real sein. Es war so ... sie fand keine Worte dafür. »Wusstest du, dass du auf Atlantis lebst?«
Makaio schüttelte verständnislos den Kopf. Er stand langsam auf und kam auf sie zu. »Atlantis? Was meinst du damit?«
Eleni legte den Kopf zur
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