Insel der Nyx: Insel der Nyx, Die Prophezeiung der Götter
ihren Träumen zeigte, was in der Zukunft geschehen würde. Und offenbar sorgte er dafür, dass die anderen Schattengestalten sie nicht wahrnehmen konnten. Vielleicht deshalb, weil sie jetzt selbst eine von ihnen war?
Eleni ließ das Restaurant und die Terrasse hinter sich und bog in die Gasse ein, die sie auf dem schnellsten Weg zur Hochebene bringen würde. Im ganzen Dorf wimmelte es von den schwarzen Gestalten. Sie lungerten in den Nischen zwischen den Häusern herum und schienen im Schatten auf etwas zu lauern. Manche warfen zufällige Blicke in Elenis Richtung. Doch im Grunde schienen sie sich nur für die Dorfbewohner zu interessieren, liefen ihnen nach und schlüpften zwischen den blauen Fensterläden in ihre Häuser.
Eleni wusste nicht, ob in dieser Nacht wieder jemand sterben würde oder ob die Menschen sich nur stritten und anschließendversöhnten. Aber sie wusste, dass die größte Bedrohung woanders lauerte: in Philines Bucht, dort, wo sie ihre Freundin in dieser Nacht allein gelassen hatte.
Dies war der Punkt in ihren Gedanken, an dem sie in Panik geraten müsste – aber ihr Bruder legte eine sichere Ruhe über den menschlichen Teil ihrer Seele. Sie war ein Menschenkind, in dem die Fähigkeiten einer Nachtgöttin schlummerten.
Eleni rannte ein Stück durch die schmalen Gassen, erreichte schließlich den steilen Pfad, der auf die Hochebene führte, und lief immer weiter hinauf. Als sie oben ankam, war keine der dunklen Kreaturen mehr zu entdecken, nur ihr Bruder war noch bei ihr. Eleni fing wieder an zu rennen, immer schneller, bis sie fast über die Hochebene hinwegflog. Der Berg warf im Licht des Mondes seinen nächtlichen Schatten über sie und hielt sie versteckt.
Als sie Philines Schlucht erreichte, erkannte sie das Bild, das sie eben noch in den Karos auf der Tischdecke gesehen hatte. Sie blickte auf den Wald, der weit unten zu ihren Füßen lag. Und plötzlich sah sie die Gestalten. Schwarze Kreaturen schlichen zwischen den Bäumen entlang. Eleni ahnte sofort, dass diese hier anders waren als die Schatten im Dorf. Diese hier suchten nach ihr! Und nach Philine! Dennoch sprang sie die Stufen hinab, ohne zu zögern. Sie lief an dem Kloster vorbei, das auf halbem Weg lag, und betrat den Wald am Fuß des trockenen Wasserfalls. Die Kreaturen huschten noch immer von Baum zu Baum, die ersten von ihnen hatten bereits den Tümpel erreicht und strebten zur Treppe. Sie waren in dunkle Gewänder gehüllt, die nichts von ihnen erkennen ließen. Doch etwas Metallisches klirrte, wenn sie sich bewegten.
Bald war Eleni von den Gestalten umzingelt. Sie spürteihre Blicke, die sie musterten, hörte ihr leises Zischen, das sie sich zuraunten.
Eleni umrundete den Tümpel und lief am Bach entlang. Sie rechnete jederzeit damit, dass die Kreaturen sie angreifen würden. Etwas leuchtend Blaues blitzte im Schatten ihrer Umhänge auf. Aber die dunklen Götter ließen sie einfach vorbeilaufen.
Eleni erinnerte sich an den Adlermann, wie er sie an der Schläfe berührt und ihr gesagt hatte, dass er damit alles in seiner Macht Stehende getan habe, um sie zu schützen.
Vielleicht konnten die Schattengötter sie deshalb nicht erkennen – weil Zeus, ihr mächtiger Großvater, sie getarnt hatte? Oder weil sich ihr Bruder mit ihr vereint hatte? Oder beides zusammen?
In diesem Moment war sie selbst eine Göttin. Sie merkte es an der Art, wie sie sich bewegte, genauso lautlos und rasch, wie es nur die Schattengötter vermochten. Womöglich war ihr menschlicher Anteil so tief in ihr eingeschlossen, dass die schwarzen Kreaturen ihn gar nicht bemerkten.
Doch das, was sie als Nächstes hörte, brachte ihre Menschlichkeit in Aufruhr: Es waren die Delfine, ihre panischen Schreie, die vom Meer aus durch die Schlucht hallten.
Eleni wollte losrennen, wollte so schnell wie möglich am Strand ankommen, um zu sehen, was los war. Aber ihr nächtlicher Schattenbruder hielt sie zurück und zwang sie dazu, ruhig weiterzugehen.
Nur Elenis Gedanken tobten. Was geschah mit den Delfinen? Was war mit Philine? Ihre Freundin war dort vorne am Meer in Gefahr. Die letzten Minuten, bevor sie den Strand erreichte, dehnten sich endlos. Die Kreaturen um sie herum zischten immer aufgeregter.
Als Eleni aus dem Wald heraustrat, sah sie die Delfine vor sich: In panischen Sprüngen wirbelten ihre silbrigen Körper durch die Bucht. Schwarze Gestalten schwammen um sie herum, fingen sie ein und rangen mit ihnen. Eleni erkannte die Nymphen zwischen ihnen,
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