Insel der Schatten
wurden solche kräuterkundigen Frauen oft als Hexen gebrandmarkt. Aber ihre seltsame Warnung und der Umstand, dass die Mädchen tatsächlich ein recht unheimliches Trio wurden, führten mich zu der Frage, was genau jener geheimnisvolle Beutel wohl enthalten hatte. Dann kamen mir Martines nächste Worte wieder in den Sinn.
Durch Hexerei gezeugte Kinder sind selbst Hexen.
So wie ihre Kinder und deren Kinder.
Mein Mund wurde trocken. Damit konnte nur ich gemeint sein.
15
Ich schreckte mit einem Ruck aus dem Schlaf hoch. Jemand hatte mein Gesicht berührt, daran gab es keinen Zweifel. Iris?, dachte ich benommen. Nein, das konnte nicht sein. Warum sollte Iris mitten in der Nacht in meinem Haus herumschleichen? Trotzdem blickte ich mich, nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, nach allen Seiten um und erwartete fast, ihr aschfahles Gesicht neben meinem Bett schweben zu sehen.
Dann schielte ich zu meinem Wecker. Viertel nach drei. Ich schüttelte über mich selbst verärgert den Kopf. Natürlich lag Iris zu dieser nächtlichen Stunde fest schlafend in ihrem Bett!
Ich wollte gerade die Augen schließen und wieder eindösen, als mir einfiel, dass ich dasselbe behutsame Streicheln bereits einige Nächte zuvor im Manitou Inn zu spüren gemeint hatte. Befand sich dieselbe Person – oder dasselbe Wesen – jetzt hier bei mir im Zimmer?
Ich setzte mich im Bett auf, knipste die Nachttischlampe an und sah mich erneut um. Soweit ich es beurteilen konnte, war alles so wie immer. Da lag mein Pullover, den ich über den Stuhl geworfen hatte, dort das Buch, in dem ich vor dem Einschlafen gelesen hatte. Kein Monster lauerte unter dem Bett, kein Gespenst schwebte in den Ecken des Raumes. Trotzdem konnte es nichts schaden, meine Umgebung etwas genauer zu inspizieren. Ich schwang die Beine über die Bettkante, schlüpfte in meine Slipper und tappte in das Wohnzimmer hinüber. Dort knipste ich gleichfalls das Licht an und stellte fest, dass auch hier alles so war, wie ich es zurückgelassen hatte: Die Decke lag auf dem Sessel, mein Wasserglas stand auf dem Couchtisch.
Und im Bad? Ich warf einen Blick in die Wanne und steckte den Kopf in die Duschkabine, sah aber nur eine einsame Spinne auf den Abfluss zukrabbeln. Ich überlegte, ob ich die Schlafzimmertür öffnen und sicherheitshalber auch noch den Flur überprüfen sollte, entschied mich aber dagegen. Besser, ich blieb hier, in meiner sicheren Festung.
Endlich legte ich mich wieder auf mein Bett, mittlerweile überzeugt, alles nur geträumt zu haben. Doch gerade als ich die Augen schloss, setzte der Gesang ein.
Komm, liebe Freundin, spiel mit mir.
Meine Lider flogen auf. Hatte ich wirklich gehört, was ich da gerade zu hören gemeint hatte? Es war dasselbe Lied in derselben seltsamen Mollfassung, das vor ein paar Tagen auf der verlassenen Straße des Städtchens erklungen war. Mein Herz hämmerte schmerzhaft gegen meine Rippen, als ich all meinen Mut zusammennahm und mich noch einmal im Raum umsah und dabei inbrünstig hoffte, niemanden dieses Lied singend im Dunkeln zu entdecken. Aber zu meiner großen Erleichterung war ich allein. Ich schloss die Augen und stieß zischend den Atem aus.
Drei Puppen hast du stets bei dir.
O nein! Schluss mit diesem Gesinge! Ich konnte es nicht mehr hören! Dem Klang nach schien das Lied aus einiger Entfernung zu kommen – von draußen. Großer Gott, stand da etwa jemand vor meinem Fenster und sang? Mitten in der Nacht? Ich fragte mich, wie lange es wohl dauern würde, bis der Sänger, oder die Sängerin, einen Weg fand, ins Haus zu gelangen. Und ich fragte mich, wie viele Schritte ich bis zur Küche brauchen würde, wo ich mich wenigstens notdürftig mit einem Messer bewaffnen konnte.
Wir steigen in den Apfelbaum.
Einen Teufel werd ich tun, dachte ich ergrimmt. Ich schaltete die Nachttischlampe aus, fasste mir abermals ein Herz und trat zum Fenster. Der Mond warf einen hellen, silbrigen Schein über die Gärten und das Wasser. Hunderte von Sternen funkelten am Himmel, über den kleine, durchscheinende Wölkchen hinwegzogen. Die kahlen Bäume standen schwarz und bedrohlich auf der Klippe Wache.
Keine Menschenseele war zu sehen. Nur Bäume und Felsen und der See – so wie es sein sollte. Ich wollte gerade einen neuerlichen erleichterten Seufzer ausstoßen, als das Lied seinen Fortgang nahm.
Dort oben kann uns keiner schau’n.
Zunehmend nervös kniff ich die Augen zusammen, um besser sehen zu können, und suchte
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