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Insel der Schatten

Insel der Schatten

Titel: Insel der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wendy Webb
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richtig«, nickte die alte Haushälterin. »Die Fotografiererei kam allerdings erst später. Doch als Madlyn noch ein Kind war, begann sie schon, wo sie ging und stand, kleine Splitter der Seelen ihrer Mitmenschen in sich aufzunehmen. Sie blieben immer bei ihr, schwebten um sie herum, bis sie lernte, sie in ihrer Kunst festzuhalten – so wie andere Kinder Schmetterlinge oder Frösche fangen.«
    »Ich verstehe immer noch nicht genau, worauf Sie hinauswollen.«
    »Es war ihre ganz eigene herausragende Gabe«, betonte Iris. »Haben Sie nicht auch schon einmal zu spüren gemeint, was jemand zu dem Zeitpunkt, als Ihre Mutter ihn aufgenommen hat, dachte oder fühlte, wenn Sie eines von Madlyns Fotos angeschaut haben?«
    Ich nickte, weil ich an die Website meiner Mutter zurückdachte. Es stimmte, ich hatte ganz klar sehen und manchmal sogar hören können, was in den abgelichteten Personen vorging.
    »Aber mit meinem ganzen Gerede von Madlyns Kunst greife ich meiner Geschichte vor! Ich werde später noch ausführlicher darauf zu sprechen kommen. Erst mal müssen Sie noch etwas anderes wissen.« Iris sah auf ihre schmale Armbanduhr. »Doch für heute ist es genug. Ich komme morgen wieder und fahre dort fort, wo ich heute aufgehört habe.« Sie stand auf und wandte sich zum Gehen.
    Als ich den Kopf schüttelte, um die Visionen daraus zu vertreiben, fiel mir wieder ein, dass ich ja mit Iris über Wills nächtlichen Sturz hatte reden wollen.
    »Iris, ich bin letzte Nacht aufgewacht und habe Will am Fuß der vorderen Treppe gefunden. Er ist die Stufen hinuntergestürzt!«, begann ich. »Er meinte, Stimmen gehört zu haben, Kinderstimmen, und – ich weiß, es klingt wie ein Hirngespinst, aber er sagte, er habe gespürt, dass ihn jemand gestoßen hat. Und nachdem Sie mir gestern von Amelias Stürzen erzählt haben …«
    Iris sah mir tief in die Augen, und ich widerstand nur mühsam dem Drang, mich unter diesem Blick vor Unbehagen zu winden.
    »Sie fragen sich, wer in diesem Haus für diese Stürze verantwortlich sein könnte?«
    »Ganz genau.«
    »Was glauben Sie denn?«
    »Ich denke eigentlich, dass es sich um einen äußerst seltsamen Zufall handelt, für den es aber sicherlich eine vernünftige Erklärung gibt«, erwiderte ich lahm. Was eine glatte Lüge war.
    Iris nickte lächelnd. »Das sagen alle am Anfang.«
    Ich wollte Antworten, und zwar klare. »Hören Sie zu, Iris, wenn Sie meinen, Will oder ich hätten von irgendwem oder irgendetwas in diesem Haus etwas zu befürchten, dann möchte ich das jetzt wissen, ja? Befinden wir uns in Gefahr?«
    »Sie stellen Fragen, die ich nicht beantworten kann«, entgegnete sie bekümmert. »Ich erzähle Ihnen doch nur die Geschichte Ihrer Familie! Über die Zukunft kann ich Ihnen nichts sagen. Ich weiß nicht, was kommen wird! Keiner von uns weiß das.«
    So einfach gedachte ich sie nicht davonkommen zu lassen. »Aber all diese Ereignisse in der Vergangenheit, von denen Sie mir erzählt haben – der Umstand, dass Charles Schutz brauchte, Amelias Stürze, das Schicksal Ihrer armen Cousine –, lassen doch darauf schließen, dass sich das Ganze jetzt wiederholen könnte, nicht wahr?«
    Das Lächeln, mit dem Iris mich bedachte, jagte mir einen Schauer über den Rücken.
    »Ich kann Ihnen nur so viel sagen: Die Mädchen haben Fremde noch nie gemocht.« Mit diesen Worten wandte sie sich ab und verschwand im Haus.
    Plötzlich begann ich zu frieren. Es war kühl auf der Veranda, und ich hatte stundenlang ohne Jacke dort gesessen und Iris zugehört. Jetzt stellte ich fest, dass ich Appetit auf eine große Portion Eintopf hatte, und seltsamerweise fand ich tatsächlich einen dampfenden Topf davon vor, als ich ins Haus ging. Iris musste ihn mitgebracht haben, als sie heute Morgen gekommen war, und hatte ihn scheinbar auf dem Herd köcheln lassen, während sie mit mir draußen gewesen war. Während ich ein paar Löffel direkt aus dem Topf aß, wünschte ich plötzlich, Will würde bald nach Hause kommen.
    Nach einer Stunde, die ich am Küchenfenster verbracht und nach ihm Ausschau gehalten hatte, riss mich das Klingeln des Telefons aus meiner Versunkenheit.
    »Ich weiß, ich weiß«, entschuldigte sich Will. »Ich sollte schon längst da sein, aber ich wurde aufgehalten.«
    »Wie geht es dir? Was macht der Kopf?«
    »Der brummt noch ein bisschen, aber sonst ist alles in Ordnung.«
    Ich legte auf, nachdem er versprochen hatte, früh zum Abendessen zu kommen. Dann sah ich mich unschlüssig in

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