Insel der Schatten
wohl auf unseren Nachnamen James gekommen war.
Da ich offensichtlich auf die Familiengrabstätte der Hills gestoßen war, ließ ich den Blick auch über die benachbarten Grabsteine schweifen. Alle lagen sie hier: Hannah und Simeon, Charles, der erst wenige Jahre zuvor gestorben war, und Amelia. Und dann las ich die Namen der drei Töchter von Hannah: Patience, Persephone und Penelope. Ihr weißer, verwitterter Stein war fast ein Jahrhundert alt.
Ich ließ mich zwischen meinen Vorfahren nieder. Eigenartigerweise fühlte ich mich, als sei ich gerade nach Hause gekommen. Ich kannte diese Menschen, hatte sie alle gesehen, während Iris mir von ihnen erzählt hatte: Hannah, jung und hübsch, wie sie damals gewesen war, als ihre Kinder geboren wurden, Charles als Kleinkind, der herumkrabbelte und stumm mit den Tieren kommunizierte … Und jetzt lag er nur wenige Meilen von dem Ort entfernt, wo er aufgewachsen war, unter der Erde, nachdem er über neunzig Jahre gelebt hatte. Meine Mutter, die mit ihrer toten Zwillingsschwester flüsterte … Alle Hills hatten auf dieser Insel gelebt und waren hier gestorben. Und nun weilte ich hier, mitten unter ihnen. Zum ersten Mal in meinem Leben spürte ich, dass auch ich zu einer Familie gehörte.
Sicher, alle anderen Mitglieder waren tot, aber sie waren dennoch meine Vorfahren, Teil meiner Geschichte, meiner Wurzeln. Sogar als ich meinen eigenen Grabstein entdeckt hatte, hatte ich eine Art inneren Frieden empfunden, als wüsste ich nun mit Sicherheit, wohin ich mich eines Tages begeben würde. Ich war zu Hause.
Langsam stand ich auf und blickte mich ein letztes Mal in der Gewissheit um, dass ich oft hierher zurückkommen würde, um diese Gräber zu pflegen. Zwar wäre ich gerne noch etwas länger geblieben, aber vor mir lag ein ungemütlicher Rückweg mit kaltem Regen.
Als ich endlich durch die Hintertür meines neuen Heims trat, traf ich Will bereits mit dem Telefon in der Hand in der Küche an.
Er starrte mich verblüfft an, dann sagte er in den Hörer: »Danke, Jonah, aber sie ist gerade zur Tür hereingekommen. Tut mir leid, dass ich dich gestört habe.«
Und dann zu mir gewandt: »Wo zur Hölle hast du gesteckt?!«
Ich zögerte, denn ich konnte mich nicht daran erinnern, wann sich ein Mann zum letzten Mal Sorgen um mich gemacht hatte. Verlegen strich ich mein tropfendes Haar aus der Stirn und erwiderte etwas betreten: »Ich bin nur spazieren gegangen.«
Will starrte mich einen Moment lang ungläubig an. Dann deutete er zum Fenster hinaus. »Bei diesem Wetter?«
Die Hunde folgten mir in die Küche und schüttelten sich, während ich meine durchweichte Strickjacke auszog – nichts riecht penetranter als nasse Wolle oder nasser Hund.
»Als ich aufbrach, hat es noch nicht geregnet. Das fing erst an, als ich schon ein paar Meilen vom Haus entfernt war.«
»Ich habe jeden angerufen, der mir eingefallen ist!« Will stand immer noch mit dem Telefon in der Hand da. »Jonah, Henry, Mira, den Supermarkt … Ich habe sogar in der Weinbar nachgefragt, ob du dort gelandet bist! Ich hatte keine Ahnung, wohin du verschwunden sein könntest.«
Er legte die Arme um mich. Sein Herz schlug schnell und stürmisch. »Ich habe wirklich Angst um dich gehabt«, murmelte er in mein nasses Haar.
Mit einem Mal begann ich heftig zu frieren. Erst hier, in der warmen Küche, wurde mir bewusst, wie ausgekühlt ich war.
»Du zitterst ja.« Er gab mich frei. »Großer Gott, deine Lippen sind ja schon richtig blau angelaufen!«
Er musterte mich einen Moment lang forschend. Ich sah ihm an, dass er fieberhaft überlegte, was jetzt zu tun war. Schließlich goss er ein kleines Glas Brandy ein und reichte es mir. Der Alkohol rann heiß und würzig meine Kehle hinunter, und sofort breitete sich in meiner Magengegend eine wohlige Wärme aus.
»So«, meinte er dann, als er mich aus der Küche führte. »Und jetzt ab nach oben mit dir! Ich lasse dir ein heißes Bad ein.«
Während er den Wasserhahn aufdrehte, schälte ich mich aus meinen feuchten Sachen. Sie rochen nach Torf und Regen und jahrhundertealtem Schmutz. Dann stieg ich in das dampfende Wasser und tauchte unter. In der Wanne fühlte ich mich sicher und geborgen, und ich spürte, wie mich eine tiefe Ruhe überkam.
Erst später, als wir in der Küche beim Abendessen saßen, fragte Will mich, wo ich eigentlich gewesen war.
»Ich weiß, dass du eine erwachsene Frau bist, aber ich habe einen ziemlichen Schreck bekommen, als ich nach Hause kam
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