Insel der Verlorenen Roman
Leutnants. Stephen trug schwarze Schuhe, weiße Strümpfe, weiße Hose und Weste, ein Rüschenhemd und den frackartig geschnittenen Marinemantel mit goldenen Tressen. An seiner Seite hing der Säbel, über den Kopf hatte er eine Perücke gestülpt, den Hut hatte er unter den Arm geklemmt.
»Du gehst!«, sagte Kitty, und ihre Augen wurden feucht.
»Was für ein prächtiger Anblick!«, sagte Richard. Er verbarg seine Trauer unter einem Lachen.
»Die Uniform kam aus Port Jackson«, sagte Stephen stolz. »Sie passt ganz ordentlich. Nur am Mantel muss noch ein bisschen gearbeitet werden, wegen der Schultern. Meine sind zu breit.«
»Ein Offizier braucht breite Schultern. Herzlichen Glückwunsch.« Richard streckte ihm die Hand hin. »Das Schiff, das neulich eingelaufen ist, heißt Kitty . Ich dachte mir gleich, dass das etwas bedeutet.«
»Ja. Aber heute trage ich die Uniform nur zu Ehren der kleinen Kate. Ich verlasse die Insel nicht sofort. Die Kitty fährt frühestens in einer Woche, also bleibt uns noch etwas Zeit.« Stephen nahm die Perücke ab, und es zeigte sich, dass er sich wie Richard die Haare abgeschnitten hatte. »Mein Gott, wird es einem unter diesen Dingern heiß! Die sind für den Ärmelkanal gemacht, nicht für Norfolk Island im schwülen Februar.«
»Stephen, deine schönen Haare!«, sagte Kitty vorwurfsvoll. Sie kämpfte schon wieder mit den Tränen. »Sie haben mir so gut gefallen! Ich versuche immer noch, Richard zu überreden, dass er seine wieder wachsen lässt, aber er sagt, lange Haare seien ihm lästig.«
»Er hat völlig Recht. Mit kurzen Haaren fühle ich mich frei wie ein Vogel - außer wenn ich die Perücke aufsetzen muss.« Stephen trat zu Kate, die in dem Hochstuhl saß, den Richard für sie gezimmert hatte, und stellte das Paket auf die Ablage vor sie. »Alles Gute zum Geburtstag, mein allerliebstes Patenkind.«
Kate lächelte und streckte die Hand aus, um sein Gesicht zu berühren. »Stevie.« Dann sah sie Richard an und strahlte. »Papa!«
Stephen küsste sie und nahm das Paket wieder an sich. Kate schien das nicht zu stören. Solange ihr Vater da war, gehörte ihre ganze Aufmerksamkeit ihm.
»Bewahrt es für sie auf«, sagte Stephen und gab Kitty das Paket. »Es wird noch einige Jahre dauern, bis sie etwas damit anfangen kann.«
Kitty packte das Geschenk neugierig aus. »Stephen!«, rief sie hingerissen. »Die ist ja wunderschön!«
»Ich habe sie dem Kapitän der Kitty abgekauft. Sie heißt Stephanie.«
Stephanie war eine Puppe mit einem fein bemalten Gesicht aus Porzellan und gelben Haaren aus Seidenfäden. Sie trug einen Reifrock und ein rosa Seidenkleid wie eine Dame vor dreißig Jahren.
»Du fährst mit der Kitty wohl nach Port Jackson?«, fragte Richard.
»Ja, und im Juni dann mit demselben Schiff weiter nach Portsmouth.«
Sie aßen gebratenes Schweinefleisch und zum Nachtisch einen Geburtstagskuchen. Das Eiweiß für den Teig hatte Kitty mithilfe eines Schneebesens schaumig geschlagen, den Richard ihr aus Kupferdraht gebastelt hatte. Richard war so geschickt. Wann immer sie ihn um etwas bat, baute er es ihr zusammen.
Gelegentlich eintreffende Schiffe hatten Tee mitgebracht, echten Zucker, außerdem verschiedene kleinere Luxusgegenstände, darunter Kittys ganzen Stolz, ein Teeservice aus feinem Porzellan. Vor den unverglasten Fenstern hingen Vorhänge aus grüner bengalischer Baumwolle, nur Bilder an den Wänden und Gabeln fehlten noch. Doch das war egal, das konnte warten.
William Henry würde in etwa drei Monaten zur Welt kommen. Kitty wusste, dass es ein Junge war. Mary musste bis zum nächsten Mal warten. Sie wollte viele Kinder. Kinder waren alles, was sie Richard geben konnte. Es konnten niemals zu viele sein. Auch auf Norfolk Island war das Leben gefährlich. Letztes Jahr hatte der arme Nat Lucas entsetzt mit ansehen müssen, wie eine Tanne, die er gefällt hatte, mit einem fürchterlichen Krachen in Olivias Richtung fiel. Olivia hatte den kleinen William auf dem Arm, die Zwillingsmädchen hingen an ihren Rockschößen. Olivia und William blieben unverletzt, Mary und Sarah dagegen waren auf der Stelle tot. Ja, man musste viele Kinder haben. Wenn eines davon starb, war man traurig und dankte Gott zugleich für die, die noch am Leben waren.
Kitty war glücklich, und der Grund dafür war, dass sie liebte und geliebt wurde. Ihre Tochter strotzte vor Gesundheit, und der Sohn, der in ihrem Bauch heranwuchs, machte sie mit seinem vielen
Strampeln ganz
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