Insel des Todes
fragte
er.
»Ich hab’ ihn überflogen«,
erwiderte ich. »Die Jacht ist mitten in der Nacht aufgelaufen und sank, weil
der ganze Bug aufgeschlitzt war. Alle anderen wurden gerettet, außer Miss
Gilbert, die vermutlich ertrunken ist. Einer der Überlebenden hörte einen
Schrei, sah wilde Bewegung im Wasser und schließt daraus, daß sie einem Hai zum
Opfer gefallen ist .«
»Klingt das Ihrer Ansicht nach
wie Mord, Mr. Boyd ?« Barth flüsterte verschwörerisch
wie ein Mensch, der einen anderen verleiten will, ihm ein Geheimnis
anzuvertrauen.
Ich hob die Schultern. »So wie
der Artikel berichtet, sieht es nach einem Unfall aus. Aber die Polizei wird
sich auf jeden Fall mit der Sache befassen .«
»Ihnen ist wohl klar, Mr. Boyd,
daß Sie mit Überreichung dieses Schreibens Ihre Pflicht Miss Gilbert gegenüber
erfüllt haben ?«
»Ich hatte den Eindruck, meine
Pflicht ginge darüber hinaus«, versetzte ich. »Sie behauptete, man würde sie
ermorden. Ich sollte den Mörder ausfindig machen, wenn das Ereignis eingetreten
war. Sie sagte, Sie würden mir einen Auftrag in diesem Sinne erteilen .«
Er seufzte. »Sie ist aber doch
nicht ermordet worden, Mr. Boyd, nicht ?«
»Ich weiß nur das, was ich
gelesen habe, Mr. Barth«, erwiderte ich.
»Ich habe heute morgen um acht
mit Australien telefoniert .« Er lächelte flüchtig.
»Die polizeilichen Ermittlungen haben eindeutig ergeben, daß Miss Gilbert durch
einen Unfall ums Leben kam .«
»Konnte sie eigentlich
schwimmen ?« fragte ich.
»Sie war Studentenmeisterin,
Mr. Boyd .« Er schüttelte fast unmerklich den Kopf.
»Ironie des Schicksals, meinen Sie nicht? Alle anderen an Bord der Jacht wurden
gerettet, und sie — wahrscheinlich die beste Schwimmerin unter ihnen — mußte
ausgerechnet von einem Hai angegriffen werden .«
»Hm .« Ich nickte. »Nun, das ist dann wohl alles, Mr. Barth ?«
»Einen Moment noch«, hielt er
mich zurück. »Gemäß der in diesem Schreiben enthaltenen Instruktionen soll ich
Ihnen, falls sich bei Miss Gilberts Tod jeder Mordverdacht als unbegründet
erweisen sollte, ihre Anerkennung dafür aussprechen, daß Sie Ihrer Pflicht
nachgekommen sind und mir den Brief überbracht haben—«
»Sehr nett«, warf ich ein.
»—und soll Sie für den nicht
zustande gekommenen Auftrag entschädigen«, fuhr Barth fort. »Wollen Sie mich
einen Moment entschuldigen ?«
Er nahm ein Scheckbuch aus
seiner Schreibtischschublade und begann, langsam und genau mit einem
Platinfüllfederhalter zu schreiben. Als er fertig war, riß er den Scheck
behutsam aus dem Heft und reichte ihn mir mit spitzen Fingern. Ich mußte ihn
mir erst dreimal ansehen, ehe ich meinen Augen traute. Der Betrag belief sich
auf fünftausend Dollar.
»In mancher Hinsicht könnte man
Miss Gilbert vielleicht exzentrisch nennen«, erklärte er mit gedämpfter Stimme.
»Aber vielleicht könnte man auch sagen, daß heute Ihr Glückstag ist, Mr. Boyd .«
Nachdem ich sein Büro verlassen
hatte, setzte ich mich in die nächste Bar und trank auf die bildschöne,
spöttische, menschenfreundliche Miss Gilbert. Danach löste ich schleunigst den
Scheck ein.
Gegen Mittag kehrte ich in mein
Büro zurück. Frans grüne Augen musterten mein Gesicht abschätzend, als ich
durch die Tür trat.
»Auf dem Profil liegt jener
selbstzufriedene, gönnerhafte Ausdruck, den nur Geld hervorzaubern kann«,
konstatierte sie. »Ich nehme an, wir haben einen Klienten .«
»Wir hatten einen Klienten«,
verbesserte ich freudestrahlend. »Oder besser — eine Klientin. Sie hat schon
bezahlt. Und deshalb werden wir jetzt in meiner Wohnung eine tolle
Weihnachtsfeier starten .«
»Gute Idee«, meinte Fran
vorsichtig. »Wer ist eingeladen ?«
»Sie natürlich.«
»Wer noch?«
»Fran, mein Schatz«, sagte ich
mit warmer Stimme, »Sie wissen doch, daß drei bei einer Party zuviel sind. Sie
können Ihre Schuhe vor die Tür stellen und — «
»—meine Kleider aufhängen ?« vollendete Fran kühl. »Danke, Mr. Boyd. Nein, danke .«
»Ihr Fehler ist, daß Sie von
originellen Einfällen nichts halten«, tadelte ich. »Wo ist Ihr Sinn für
Romantik? Wo ist die Lust am Abenteuer, die Sehnsucht, das zauberhafte Land
weiblicher Reize zu erforschen, die — was ist denn das ?« Ich wurde plötzlich durch ein säuberlich verschnürtes Päckchen auf meinem
Schreibtisch abgelenkt.
»Es kam vor ungefähr einer
Viertelstunde — per Eilboten«, erklärte sie. »Es ist an Sie adressiert, und da
>persönlich< drauf steht,
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