Insel des Todes
zuzugesellen, wenn er
mir nicht bald einen neuen Klienten schichte.
Als ich das Büro der Firma Boyd
betrat, stellte ich fest, daß Fran Jordan, meine grünäugige, rothaarige
Sekretärin, eifrig die Morgenzeitung studierte.
»Morgen, Danny«, sagte sie,
ohne den Kopf zu heben und mit einer Stimme, die meiner Meinung nach viel zu
vergnügt war. »Ich habe ja die Schlittenglöckchen draußen gar nicht bimmeln
hören ?«
»Die hab’ ich verkauft, um die
Miete zu bezahlen«, brummte ich erbost. »Sie können dieses Jahr zu einem einmalig
günstigen Preis das gesamte Büro-Inventar kaufen, wenn Sie sich schnell
entschließen und der Finanzierungsgesellschaft zuvorkommen .«
»An manchen Tagen ist es
klüger, man bleibt morgens im Bett«, murmelte sie.
»Der Theorie schließe ich mich
mit Freuden an, vorausgesetzt, ich wache in Ihrem Bett auf«, verkündete ich.
»Ist irgendwas passiert? Hat sich vielleicht ein neuer Klient blicken lassen ?«
»Nichts dergleichen.« Ihre
Stimme verriet höfliches Bedauern. »Meinen Sie, ich sollte mich nach einer
neuen Stellung umsehen ?«
»Kein schlechter Gedanke«,
stimmte ich zu. »Ich werde inzwischen eine Bank berauben und mich dann nach
Süden davonmachen, wo ich den ganzen Tag am Strand faulenzen kann .«
»Dann passen Sie nur auf, daß
Sie nicht von Haifischen gefressen werden wie Leila Gilbert«, versetzte sie.
»Wer ist Leila Gilbert ?« erkundigte ich mich lustlos.
»Sie lesen wohl nie die
Klatschspalten, was, Danny ?« fragte Fran. »Sie war die
Theater-und-Film-Millionärin. Ihr Vater, Damon Gilbert, hat ihr gut fünf
Millionen Dollar hinterlassen, als er vor sechs Monaten starb .«
»Und jetzt haben die Haie vom
Theater sie zwischen die Zähne gekriegt ?«
»Nein, es war ein echter Hai .« Fran fröstelte leicht und schob mir die Zeitung zu.
»Da, lesen Sie’s .«
Die Schlagzeile verkündete in
Riesenlettern: HAI TÖTET KÖNIGIN DER GESELLSCHAFT. Darunter wurde ein Foto
Leila Gilberts gebracht.
»Muß ganz schön gefährlich
sein, in Australien zu baden«, meinte Fran. »Überlegen Sie es sich also gut,
mein Freund, welchen Platz an der Sonne Sie wählen, wenn Sie die Bank beraubt
haben. Hört sich doch entsetzlich an, oder ?«
Ich starrte noch immer völlig
perplex auf das Foto Leila Gilberts. Ihr Haar war wirr und zerzaust. Doch das
war nebensächlich. Es war ihr Gesicht, das sofort faszinierte. Ein Gesicht von
beinahe klassischer Schönheit, mit einem Ausdruck der Verachtung in den
unnatürlich großen Augen und einem spöttischen Lächeln auf den Lippen.
»Danny !« fuhr Fran mich an. »Sie hören mir ja gar nicht zu. Was ist denn geschehen ?«
»Ich glaube, wir haben einen
Klienten«, erklärte ich heiser.
»Aus heiterem Himmel?«
»Nein. Seite eins dieser
Zeitung.«
»Leila Gilbert? Aber die ist
doch schon tot«, jammerte Fran.
»Und sie hat mich soeben
engagiert«, versetzte ich. »Ich muß in die Stadt und einen Rechtsanwalt
aufsuchen .«
»Sie meinen, einen Psychiater ?«
»Tut mir leid, daß sie tot
ist«, bemerkte ich. »Sie schien eine bemerkenswerte Frau zu sein .«
»Und mir tut’s leid, daß Sie
übergeschnappt sind«, erklärte Fran. »Sie schienen ein bemerkenswerter Mann zu
sein .«
Etwa eine Stunde später saß ich
im Büro von James Barth, Rechtsanwalt, und sah zu, wie Mr. Barth das Siegel des
Briefes aufbrach und zu lesen begann. Der Anwalt war ein feister, kahlköpfiger
Buddha, dem ich es durchaus zutraute, daß er seinen Tag damit verbrachte, den
zweiten Knopf seines teuren Anzugs in tiefer Meditation zu betrachten, wenn
nicht gar seinen Nabel.
Als er die Lektüre endlich
abschloß, hatte ich zwei Zigaretten geraucht und eingehend die Technik der
japanischen Drucke studiert, die seine Wände zierten. Schließlich legte Mr.
Barth die gespreizten Fingerspitzen aneinander, hob langsam den Kopf und
starrte mit verschleierten Augen etwa fünf Sekunden durch mich hindurch.
»Wann hat Ihnen Miss Gilbert
dieses Schriftstück ausgehändigt, Mr. Boyd ?« erkundigte er sich trocken.
»Vor etwa sechs Wochen«,
erwiderte ich. »Nur wußte ich damals nicht, daß sie Leila Gilbert war .«
»Bitte, beschreiben Sie mir die
Zusammenkunft mit ihr .«
Ich berichtete ihm von dem
regnerischen Morgen am East River, von der blonden Teufelin und ihren wilden
Behauptungen, man würde sie ermorden. Er lauschte mit ungeteilter
Aufmerksamkeit, bis ich schwieg.
»Haben Sie den Zeitungsbericht
über ihren Tod eingehend gelesen, Mr. Boyd ?«
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