Insel meiner Sehnsucht Roman
nicht blicken. Auf dem Weg zu ihrer Suite sah sie Licht unter Atreus' Tür.
Um diese Zeit würde er sicher schlafen. Und wenn nicht, würde jemand bei ihm sitzen. Oder er hatte jeden weggeschickt, der ihm Gesellschaft leisten wollte, weil er es ebenso wie Kassandra vorzog, seine Schwäche zu verbergen.
Kurz entschlossen, eilte sie zu ihm, um festzustellen, ob er etwas brauchte.
Er war allein, saß aufrecht im Bett und las einige Dokumente.
»Was machst du denn?«, fragte Kassandra, als sie eintrat. »Ich dachte, du ruhst dich aus.«
»Irgendwann muss ich doch anfangen, die Arbeit nachzuholen. Müsstest du nicht im Bett liegen?«
»Ja, wahrscheinlich … Aber ich kann nicht schlafen. Hör mal, du stehst erst am Anfang deiner Genesung und darfst dich nicht überanstrengen.«
Atreus legte den Bericht beiseite, den er studiert hatte, und winkte seine Schwester zu sich. Als sie neben ihm auf dem Bett saß, erklärte er: »Das weiß ich. Aber ich fühle mich schon viel besser. Und Elena hat mir versichert, dass ich wieder ganz gesund werde.«
»Wie wundervoll … Trotzdem solltest du dich schonen, denn dein Leben hing an einem seidenen Faden.«
Er nickte. »Eigentlich war es gar nicht so unangenehm. Ich glaube, ich habe oft geträumt.«
Damit wollte er sie von ihrer Sorge um sein Befinden ablenken. Obwohl sie das wusste, gelang es ihm, ihre Neugier zu wecken. »Erinnerst du dich an diese Träume?«
»Nur an einen einzigen … Kurz bevor ich zu mir kam, wanderte ich auf einer Straße dahin, die durch den Wald am Meer führte. Es war keine Straße, die ich kenne, aber sie erschien mir vertraut. Plötzlich zweigte ein Weg ab, was mich überraschte, weil er eine Sekunde zuvor nicht existiert hatte. Du weißt ja, wie es in Träumen ist… Unschlüssig blieb ich stehen, und ich wusste, wenn ich in den Pfad bog, würde ich hierher zurückkommen. Wenn ich der Straße folgte, würde ich einen Ort erreichen, den ich nicht kannte. Dennoch sehnte ich mich danach.«
»Hast du eine Wahl getroffen?«
»Natürlich. Das fiel mir nicht schwer. Ich wusste, die Straße würde nicht verschwinden. Eines Tages würde ich sie wieder entlanggehen, wohin sie auch führen mag. Doch vorerst nicht. Jetzt muss ich hier bleiben und meine Pflicht erfüllen. Es gibt so viel zu tun.«
»Dabei will ich dir helfen. Irgendwie sollten wir uns mit den Helios-Rebellen verständigen und ihnen klar machen, du würdest ihre Forderung nach beschleunigten Reformen verstehen. Und sie könnten ihren Beitrag leisten, um Akora auf ein neues Zeitalter vorzubereiten. Da wird es sicher einige Schwierigkeiten geben, weil wir nur wenige Helios-Anhänger kennen. Trotzdem wäre es möglich, und …«
»Kassandra …«
»Oder wenn dir meine Idee nicht gefällt, könnte ich mich um andere Dinge kümmern.«
»Deine Idee ist ausgezeichnet. Aber du hast schon so viel zustande gebracht.« Seine Augen verengten sich. Doch sie las nach wie vor innige Liebe in seinem Blick, und sie ahnte, was sie letzten Endes besprechen würden – die Vision von ihrem eigenen Tod und ihren Entschluss, niemandem davon zu erzählen. »Du müsstest endlich etwas für dich selber tun.«
»Für mich selber?«
Geduldig erklärte er: »Für dein eigenes Glück.«
»Ach, ich weiß nicht, Atreus … Irgendwie habe ich das Gefühl, die Göttin Fortuna findet nicht den Weg zu uns Atreiden.«
»Natürlich kommt sie nicht zu uns, wir müssen sie suchen. Wie nennen es die Amerikaner? Sie verfolgen das Glück. Welch ein unglaublicher Gedanke – die Menschen haben das Recht, ihr Glück wenigstens zu suchen . Eine sehr erfreuliche Vorstellung.«
»So etwas müssten die Rebellen hören.«
»Untersteh dich, das Thema zu wechseln! Wir reden über dich .«
»Nur du redest über mich. Jetzt gehe ich ins Bett.«
»Kassandra …«
So sanft seine Stimme auch klang, ein ausdruckvoller Unterton erinnerte sie an die Macht des Vanax, und so blieb sie bei ihm.
»Dein Glück wäre mir sehr wichtig«, beteuerte er und ergriff ihre Hand.
In ihren Augen brannten Tränen. Den Kopf gesenkt, flüsterte sie: »Atreus, ich bin in eine Welt geraten, von der ich all die Jahre nichts geahnt habe. Und obwohl sie mir gefällt – ich kann meinen Weg nicht finden, und ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Unsere Mutter würde dir raten, deinem Herzen zu gehorchen.«
»Damit hätte sie Recht, bis zu einem gewissen Grad. Wenn ich mich nur nach meinem Herzen richte, würde mein Verstand protestieren.« Sie schaute
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