Insel meiner Sehnsucht Roman
gern ihre Revolution nennen. Als unsere Soldaten auf das Schlachtfeld marschierten und kapitulierten, spielten sie ein Lied namens ›Die Welt steht Kopf‹. Damit drückten sie treffend aus, was geschehen war. Und ich würde es den Amerikanern durchaus zutrauen, die Welt noch einmal auf den Kopf zu stellen. Anscheinend haben sie das besondere Talent, andere Leute zu überraschen, aber vor allem sich selber.«
»Nun, dann sollten wir ihnen viel Glück wünschen«, warf Atreus leise ein. Trotz seines Protests lag er auf einem Sofa neben einem niedrigen Tisch. Wäre es nach seinem Willen gegangen, würde er aufrecht an der Tafel sitzen – ein törichtes Bestreben für einen Mann, der erst am Vortag aus einer langen Ohnmacht erwacht war. Dass er überhaupt am Abendessen teilnahm, bereitete der Familie riesige Freude. Kassandra fand, er würde müde und tatendurstig zugleich wirken, und sie fürchtete, er könnte sich zu sehr anstrengen.
Vielleicht würde er gar keine Gelegenheit dazu finden, denn Phaedra und Elena behielten ihn aufmerksam im Auge. Auch Brianna saß am großen Esstisch, aber weit von Atreus entfernt. Nur hin und wieder schaute sie zu ihm hinüber – besorgt, wie Kassandra registrierte. Doch sie las noch etwas anderes im Blick des Mädchens – ein Gefühl, das sie nicht definieren konnte. Verwirrung?
Ihr blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, denn jetzt ergriff Royce das Wort. »In der Tat, das sind gute Neuigkeiten, Alex. Hast du nach Percevals Tod festgestellt, wer wirklich hinter dem Plan der Briten steckt, ins akoranische Territorium einzufallen?«
»Nein«, entgegnete Alex bedauernd. »Dieses Rätsel müssen wir noch lösen. Natürlich erst dann, wenn es an der Zeit ist.«
Royce nickte. »Je früher, desto besser. Solange einige Engländer annehmen, eine Invasion würde gelingen, schwebt Akora in Gefahr.«
»Das nehmen sie an?« Obwohl Atreus in sanftem Ton sprach, blitzte heller Zorn in seinen Augen.
»Ja«, bestätigte Alex. »Selbst die einflussreichsten Briten wissen so gut wie nichts über Akora. In ihrer Ignoranz lassen sie sich nur von Habgier und Ehrgeiz leiten. Was glaubst du, wie bedenkenlos sie sich einreden werden, wir wären eine leichte Beute?«
»Ich verstehe, was du meinst …« Nachdenklich zog der Vanax die Brauen zusammen. »Vielleicht sollte ich eine Reise nach England erwägen?«
»Du musst dich erst einmal erholen«, entschied Phaedra energisch.
Und der erwählte Herrscher von Akora, der Gesalbte, entschlossen im Kampf, weise im königlichen Rat, der Führer, zu dem Tausende aufblickten, wagte nicht zu widersprechen.
»Wie du meinst, Mutter.« Zu Alex gewandt, fuhr er fort: »Ich habe den Brief des Prinzregenten gelesen, den du mir überbracht hast. Darin geht es um dich, Royce. Seine Majestät verlangt deine sofortige Rückkehr nach England. Anscheinend kann der König in dieser kritischen Situation nicht auf deine Dienst verzichten.«
Erschrocken rang Kassandra nach Atem und starrte Royce an. Nur sekundenlang erwiderte er ihren Blick, bevor er antwortete: »Also bleibt mir nichts anderes übrig als abzureisen.«
Auf dem Dach war es kalt, viel kälter als in der Nacht zuvor. Doch da hatte sie nicht allein unter dem funkelnden Himmel gestanden, sondern mit Royce.
Jetzt saß sie allein auf dem Boden, an die Kuppel des Observatoriums gelehnt. Ihre Augen brannten vor Müdigkeit, doch sie würde keinen Schlaf finden. Einsam in ihrem Bett zu liegen, an Royce zu denken – das wäre unerträglich.
Hier oben auf dem Dach, den Sternen so nahe wie möglich, fühlte sie sich etwas besser.
Er würde nach England reisen. Daran zweifelte sie nicht.
Sobald der Tag anbrach, würde er an Bord eines Schiffes gehen und sie verlassen.
» O Gott …« Obwohl sich nur ein leiser Schrei aus ihrer Kehle rang, fürchtete sie, jemand würde ihn hören. Verglichen mit der Liebe, war der Stolz nur ein zerschlissenes Kleid, aber alles, was sie noch hatte, und sie würde ihn schützen.
Über ihrem Kopf verblassten die Sterne, allmählich erhellte sich der Himmel. Zu schnell! Zu schnell!
Bald würden Leute heraufkommen, um den Dachgarten zu pflegen und die Pfade zu benutzen, die Abkürzungen durch das riesige Labyrinth des Palastes boten. Oder einfach nur, um die Aussicht zu genießen. Da Kassandra niemandem begegnen wollte, stand sie auf und ging nach unten, von körperlichen und seelischen Schmerzen gepeinigt. Zu ihrer Erleichterung schlief Sida. Zumindest ließ sich die Dienerin
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