Insel meiner Sehnsucht Roman
Lächeln zu überspielen. »Es war ein fabelhafter Tag. Aber nun zehrt die ganze Aufregung allmählich an meinen Kräften.« Das klang so unaufrichtig, zumindest in ihren eigenen Ohren, dass sie beinahe fürchtete, Alex würde sie eine Lügnerin nennen.
Stattdessen musterte er sie besorgt.
»Nun musst du dich ausruhen«, entschied Joanna.
Zerknirscht, weil sie eine Rücksichtnahme beanspruchte, die eher ihrer hochschwangeren Schwägerin zustehen würde, folgte Kassandra ihr nach oben. Natürlich würde sie kein Auge zutun. Sie wollte nur eine Zeit lang allein bleiben, um ihre Gedanken zu ordnen. Noch nie im Leben hatte sie sich von einem Mann betören lassen. Damit würde sie auch jetzt nicht anfangen, ganz egal, wie attraktiv Royce Hawkforte sein mochte.
»Sind dir die Süßigkeiten nicht bekommen?«, fragte Joanna, als sie Kassandras Schlafzimmer betraten. »Wenn du an Magenbeschwerden leidest, kann dir Mrs. Mulridge eine Medizin bringen. Oder Elena wird sich um dich kümmern, wenn du das vorziehst.«
»Oh nein, danke – das ist nicht nötig«, versicherte Kassandra. »Es geht mir gut.«
»Wirklich?«
»Ja, ganz bestimmt. Sorg dich nicht um mich. Außerdem – solltest du dich nicht auch ausruhen?«
»Eigentlich schon«, gab Joanna zu. »Falls du irgendetwas brauchst …«
»Dann läute ich, und eines deiner tüchtigen Dienstmädchen wird sofort zu mir eilen.«
Besänftigt verließ Joanna den Raum. Sobald sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, schlüpfte Kassandra aus ihren Schuhen – was für grässliche Folterwerkzeuge, vorn zugespitzt, mit keilförmigen Absätzen! – und sank seufzend auf das Bett.
Ihr Verhalten erfüllte sie nicht mit Stolz. Wahrlich nicht. Wie sie sich eingestand, war sie vor Royce Hawkforte und der Sehnsucht geflohen, die er in ihr weckte. Und jetzt versteckte sie sich in ihrem Schlafzimmer, um ihre Emotionen unter Kontrolle zu bringen, bevor sie ihm wieder gegenübertrat. So durfte sich eine Prinzessin von Akora nicht benehmen.
Nachdem sie sich energisch ermahnt hatte, nahm sie ein erfrischendes Bad, das ihre Gemütslage aber nicht verbesserte. Als sie nach unten ging, läutete die Uhr am Treppenabsatz viermal. Gerade rechtzeitig zum Tee traf sie im Salon ein.
Joanna saß auf dem Sofa, ein silbernes Teeservice vor sich. In der Nähe standen Royce und Alex. Keinem der beiden Männer war die körperliche Anstrengung des Fechtkampfs anzumerken.
Natürlich wusste Kassandra, dass Royce ebenso wie ihr Bruder das Herz eines Kriegers besaß. Das durfte sie nicht vergessen. Sie nahm neben Joanna Platz. Nach ihrem Befinden befragt, antwortete sie, noch besser könnte sie sich gar nicht fühlen.
»Sehr gut.« Joanna reichte ihr eine zierliche Meißener Tasse, mit Earl Grey gefüllt, und ein Stück Zitronenkuchen. »Jeden Augenblick müsste Monsieur Maurice eintreffen.«
»Monsieur Maurice?«
»Der Tanzlehrer.« Bedauernd zuckte Joanna die Achseln. »Das lässt sich leider nicht vermeiden. Bei den meisten gesellschaftlichen Veranstaltungen herrscht ein so dichtes Gedränge, dass man gar nicht tanzen kann. Aber früher oder später wirst du's dir wünschen. Also solltest du die richtigen Schritte lernen.«
»Wieso sind die Briten inmitten eines langen, blutigen Kriegs gegen Frankreich so besessen vom französischen Stil? Französische Mode, französische Weine, französische Tänze. Gibt es irgendwas Französisches, das die Engländer nicht begeistert? Von Napoleon natürlich abgesehen.«
»Nun, daran erkennen Sie, was für ein widersprüchliches Volk wir sind, Kassandra«, bemerkte Royce und nahm eine Tasse Tee von seiner Schwester entgegen. »Aber man muss unserem Volk zubilligen – es gibt sehr viele Engländer, die gar nichts von den Franzosen halten.«
Zum ersten Mal, seit Kassandra den Salon betreten hatte, sah sie ihn an. Die Intensität, mit der er ihren Blick erwiderte, verwirrte sie. Viel zu tief schien er in ihre Seele zu schauen. Mit einiger Mühe brachte sie ein Lächeln zustande. »Solche Leute zeigen sich wohl kaum am königlichen Hof.«
»Im Allgemeinen nicht. Joanna hat mir erzählt, im akoranischen Palast würden andere Sitten herrschen. Da geht jeder ein und aus.«
»Ja, das stimmt. Um ein akoranisches Sprichwort zu zitieren – wenn man jemanden treffen will, wartet man am besten im Palast, denn dort wird er früher oder später erscheinen.« Dann fasste sie Mut und fügte hinzu: »Wie schade, dass Sie nach Ihrer Befreiung nicht ein bisschen länger auf
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