Insel meiner Traeume
die sie so sehr faszinierte, nicht im Nebel der Zeiten verlor, sondern weiterlebte.
Wenn doch auch ihr Bruder noch am Leben wäre...
Joannas Lächeln erlosch, und die Heiterkeit verflog ebenso schnell, wie sie ihr Herz erfasst hatte. Die Augen geschlossen, schickte sie ein stummes Gebet zum Himmel. In diesen letzten Monaten hatte sie den Allmächtigen immer wieder um Beistand angefleht... Als sie die Lider wieder hob, war der kleine Tempel mit seiner Göttin verschwunden. Hastig wandte sie sich vom Bullauge ab und packte ihre wenigen Habseligkeiten in den Beutel. Dann setzte sie sich auf das Bett und wollte sich zwingen, geduldig zu warten. Aber dazu war sie gar nicht fähig. Bald eilte sie wieder zu der Luke.
Wenn sie sich auch einredete, es sei nur vernünftig, möglichst viel über die Umgebung zu erfahren - sie spürte, dass sie unweigerlich in den Bann der duftenden Luft geriet.
Endlich tauchte Ilius auf. Joanna sah zunächst nur vereinzelte Häuser. Später reihten sie sich immer dichter aneinander, in üppigem Grün. Hinter einer Biegung lag das Stadtzentrum. Begierig versuchte Joanna, alles auf einmal in sich aufzunehmen, was ihr natürlich misslang.
In das große Hafenbecken ragten mehrere Dutzend steinerne Piers, ein Drittel von Schiffen in verschiedenen Größen besetzt, einige majestätisch wie die Nestor, andere so klein, dass sie nicht den Eindruck erweckten, sie würden jemals über das Binnenmeer hinaussegeln. Weiß getünchte Häuserreihen zogen sich an einem Hang hinauf, blühende Büsche und Bäume leuchteten weiß, rosa und gelb. Dazwischen führten Straßen zu einem Gipfel empor, weiter oben von hohen Wällen gesäumt, auf denen Wächter patrouillierten. Jenseits dieser Mauern prangten die majestätischen Türme eines Palastes, höher als alle, die Joanna jemals gesehen hatte.
»Ilions stolze Türme«, flüsterte sie und schnitt eine Grimasse. Wer außer dem Blaustrumpf, wie Alex sie genannt hatte, würde in diesem Augenblick an Christopher Marlowes unsterbliche Worte denken? Und doch - seine Poesie passte zu dieser Festung.
Wäre Joanna gebeten worden, Troja zu beschreiben, hätte es in ihrer Fantasie so ausgesehen wie Ilius, mächtig und strahlend schön im Sonnenlicht. Wenn man auch behauptete, Troja sei nur eine Erfindung Homers - für sie war es seit der Kindheit Wirklichkeit gewesen. Und jetzt schien es vor ihr zu liegen, aber nicht zerstört, die stolzen Türme nicht verbrannt, niemals von Feinden angegriffen.
Sie seufzte tief auf und atmete den Duft der Stadt ein. Wieder Zitronen, intensiver denn je, vermischt mit Thymian und Oleander. Doch sie registrierte auch die Gerüche eines Hafens, die sie an den Strand von Hawkforte erinnerten. Salzige Luft und die Gerüche von Fischen, feuchtem Hanf, zu Seilen geflochten, Stein und Pech - dies alles vereinte sich mit den würzigen Aromen, die aus zahllosen geöffneten Fenstern strömten. In jedes Haus wurde der schöne Tag eingelassen.
Von der Flut beschleunigt, segelte die Nestor zum Hafen. Entlang der Piers und in den Straßen eilten Menschen umher. Von fast unerträglicher Neugier ergriffen, beobachtete Joanna die Akoraner. Die meisten hatten dunkles Haar, und ihre Haut, wenn sie nicht von der Sonne gebräunt war, zeigte jenen Oliventeint, den sie kannte, seit sie die Mittelmeerländer bereist hatte. Aber hier und da fielen ihr Leute mit hellerer Haut auf. Allerdings waren sie noch weit entfernt, und das Schiff bewegte sich sehr schnell. Deshalb dachte sie, wahrscheinlich würde sie sich irren. Obwohl Alex erklärt hatte, auf Akora hege man keine Scheu vor der Nacktheit, sah Joanna nur bekleidete Gestalten. Alle trugen schlichte, von der Sonne gebleichte Tuniken, die Männer kürzere als die Frauen. Nur die Soldaten, die überall in großer Zahl patrouillierten, bildeten eine Ausnahme. Ihre Uniform glich dem Faltenrock, der Darcourts wohlgeformten Körper so verwirrend schmückte. Scheinbar lässig schlenderten sie an den Geschäften und Kneipen am Kai vorbei, andere stiegen auf Schiffe oder gingen von Bord. Einerseits glich Ilius den Hafenstädten, die Joanna kannte, London eingeschlossen. Und andererseits waren die Unterschiede so groß, dass sie alle Ähnlichkeiten überwogen.
Und wohin sie auch in wachsender Verwunderung schaute - weder im Hafen noch in der ausgedehnten, vom Palast überragten Stadt entdeckte sie jene Zeichen der Armut, die in London nicht zu übersehen waren. Hier streckten keine bettelnden Kinder ihre Hände
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