Insel meiner Traeume
verräterischen Neigung bedürfen, um Gefahren heraufzubeschwören.
Aus eigenem Antrieb hätte er Joanna niemals nach Akora gebracht. Sie hatte ihn dazu gezwungen, aber letzten Endes war es seine Entscheidung gewesen, ihre Anwesenheit an Bord zu dulden. Die Alternativen hatte er aus guten Gründen verworfen. Und jetzt trug er die Verantwortung für die englische Lady.
Deshalb würde er sie vor allem Unheil schützen, das auf Akora lauerte, vor ihrer Impulsivität und sogar - wie er grimmig beschloss - vor seinem Verlangen.
Aber er wollte verdammt sein, wenn er irgendetwas erklärte. Als halber Xenos am königlichen Hof aufgewachsen, hatte er schon vor langer Zeit gelernt, seine Gedanken für sich zu behalten. Da gab es keine Ausnahmen. Nicht einmal den Menschen, die er liebte, offenbarte er sich. Niemals hatte er erwartet, er würde eines Tages wünschen, das zu ändern.
Plötzlich merkte er, dass er ihren Arm immer noch umklammerte. Er hatte nicht beabsichtigt, sie anzufassen. Irgendwie war es geschehen. Er unterdrückte ein Stöhnen, ließ sie los und runzelte die Stirn.
»Wie sich eine Frau verhalten muss, weißt du. Das habe ich deutlich genug erläutert...«
Joanna verzog die Lippen, was er gewiss nicht als Lächeln missdeutete. »Freundlich, demütig, gehorsam, bescheiden. Glaub mir, ich hab’s nicht vergessen.«
»Aber du willst dich nicht so benehmen, wie es erforderlich wäre.«
In ihrem Blick las er die Sorge um ihren Bruder, die Angst, die sie erfolglos zu verbergen suchte, und bekämpfte den Impuls, sie zu umarmen, zu trösten. Resignierend zuckte sie die Achseln. »Ich werde mich nach besten Kräften bemühen. Ginge es nur darum, wäre ich nicht so beunruhigt.«
»Was stört dich denn?« Es fiel ihm schwer, an seinem Groll gegen eine Frau festzuhalten, deren Ansichten über schickliches Benehmen so gründlich von seinen eigenen abwichen. Ein faszinierender Unterschied - was er nicht einmal sich selbst eingestand...
»Nachdem ich so weit gekommen bin, verstehe ich nicht, warum ich die Ereignisse tatenlos abwarten soll, während du oder sonst jemand meinen Bruder sucht.«
Wider Willen empfand er ein gewisses Mitleid. Wäre er an ihrer Stelle, würde er - zur Untätigkeit verdammt - wahre Höllenqualen ausstehen. Aber warum gingen ihr solche Gedanken durch den Sinn? Er war ein Mann, sie eine Frau, niemals würden sie ihre Positionen tauschen, die auf Tradition, Kultur und schlichter Vernunft basierten.
»Und was möchtest du unternehmen?«, fragte er sanft. »Willst du über die Berge und durch die Täler wandern und in jedes Gebüsch spähen?«
Mit einem schmerzlichen Lächeln brachte sie ihn beinahe um seine Selbstbeherrschung. »Genau das würde ich am liebsten tun.«
Seufzend erwiderte er das Lächeln. »Was ich dir aufs Wort glaube.« Dann strich er behutsam über ihre Wange und fügte hinzu: »Das ist unmöglich, Joanna, du weißt es doch.«
Aus seinem Mund klang ihr Name so natürlich, als lebten sie schon seit Jahren in einer intimen Beziehung. Und er wünschte, sie würde seinen Namen genauso aussprechen.
Wahnsinn.
Ihre Blicke trafen sich. Ganz nah standen sie voreinander, und er musste nur den Kopf senken, um diese warmen, verlockenden Lippen wieder zu kosten...
Die Nestor stieß gegen ihren Pier, schwankte ein wenig in den Wellen und nahm den gewohnten Platz ein, als hätte sie ihn niemals verlassen. An Deck jubelten die Männer, so wie bei jeder Heimkehr. Und auf dem Kai erklang das Geschrei der Passanten, die das Schiff erkannten und ihren Prinzen begrüßten. Nur zu gern hießen sie ihn nach seinen Abenteuern im Ausland willkommen.
Da drängte es ihn plötzlich, das Schiff wieder aufs Meer hinauszusteuern. Und dieser Impuls verriet ihm nur zu deutlich, auf welch gefährlichem Terrain er sich bewegte.
Pflicht und Ehre. Für manche Männer hohle Worte. Für ihn der Lebensinhalt.
Er richtete sich auf, und die Maske des unerschütterlichen Akoraners glitt erneut über sein Gesicht. Stärker als je zuvor war sie sein Schutzschild. »Spiel deine Rolle«, befahl er. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, eilte er aus der Kajüte.
Statt auf ein Pferd oder eine Eskorte zu warten, stieg er zielstrebig die steile, mit Kopfsteinen gepflasterte Straße zum Palast hinauf. An ihrem oberen Ende erhob sich das stolze Tor, von steinernen Löwinnen flankiert, die sich aufbäumten. Im Königreich Akora lebten keine Löwinnen. Diese Statuen repräsentierten Erinnerungen an das Land, aus
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