Insel meiner Traeume
Zwischenzeit würde sie überlegen, was sie ihm sagen wollte.
Sie folgten dem privaten Korridor und erreichten eine kleine Tür, die auf den Hof führte, nicht weit vom Tor der Löwinnen entfernt.
Erstaunt beobachtete Joanna die Menschenmenge, die zielstrebig zur breiten Treppe am Haupteingang des Palasts eilte.
»Wer sind die Leute, Prinzessin?«
»Einige sind Aristokraten, die hierher kommen, um zu sehen und gesehen zu werden, die letzten Neuigkeiten auszutauschen, ihre selbstsüchtigen Interessen zu verfolgen und den Vanax zu bespitzeln. Einige sind Kaufleute mit ähnlichen Beweggründen. Und ein paar wollen die Sitzung des Regierungsrats besuchen. Nach unseren Gesetzen muss sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Andere gehen zum Gerichtshof, im Flügel da drüben. Dort befindet sich auch die Münzanstalt, in der jedermann edles Metall prägen lassen kann. Dieses Ziel steuern auch Investoren oder Leute an, die Kredite aufnehmen möchten. In den Nebenräumen der Münzanstalt werden viele Geschäfte abgeschlossen.« Kassandra lachte leise, bevor sie hinzufügte: »Angeblich kennen sich alle Akoraner, weil sie einander früher oder später im Palast begegnen.«
Verblüfft stellte sich Joanna vor, wie erbost Prinny wäre, wenn die gewöhnliche Bevölkerung eine seiner Residenzen für eigene Zwecke benutzen würde. »Macht das dem Vanax nichts aus?«
»Atreus? Natürlich nicht. Unseren Traditionen zufolge gehört der Palast dem Volk, nicht dem Souverän. Also ist’s das gute Recht der Leute, hier aus und ein zu gehen. Sie respektieren unsere Privaträume. In allen anderen dürfen sie sich frei bewegen.«
Dank des verbrieften Rechts auf persönliche Freiheit konnte die Prinzessin den Palast ohne Getue oder Formalitäten verlassen. Niemand kam auf Kassandra und Joanna zu, während sie die lange Straße zur Stadt hinabgingen. Ein paar Leute nickten freundlich, sprachen sie aber nicht an. Wieder einmal bewunderte Joanna die Schönheit und Sauberkeit ihrer Umgebung. Überall sah sie gesunde, wohlgenährte, offenbar glückliche Menschen, die bereitwillig lächelten. Und doch - die Szenerie erschien ihr keineswegs friedlich, denn vor ihrem geistigen Auge tauchte die schreckliche Zukunft auf, die Kassandra gesehen hatte, und ein brennender Schmerz krampfte ihr Herz zusammen.
»Nun zeige ich Ihnen unsere Schneiderwerkstätten«, erklärte Kassandra und führte Joanna in eine Seitenstraße. Stoffe in allen Regenbogenfarben hingen in Marktständen vor den Türen. »Hier leben viele talentierte Schneider und
Schneiderinnen. Unsere Mode ist schlichter als die europäische. Aber wir sind stolz auf den erstklassigen Schnitt unserer fließenden Gewänder und die sorgfältig verarbeiteten Nähte.«
»Faszinierend«, murmelte Joanna und fragte sich, wie lange sie die Launen der Prinzessin noch ertragen musste. Wenn sie sich auch nicht unhöflich benehmen wollte - wie sollte sie Interesse an dieser Stadt heucheln? So schön Ilius auch sein mochte, jetzt gab es wichtigere Dinge, denn sie musste Alex finden und ihm von Royce erzählen. Oh Gott, die Zeit lief ihr davon...
»Jean-Paul, Marie, ici s’il vous plait. Vite, vite!«
Ungläubig wandte sich Joanna in die Richtung, aus der die weibliche Stimme gekommen war. Die rundliche kleine Frau trug eine schöne, schmucklose Tunika. Von einem Band aus der Stirn gehalten, fielen dichte kastanienbraune Locken auf ihre Schultern. Strahlende Augen beherrschten ihr hübsches, gebräuntes Gesicht. Im Moment wirkte sie etwas entnervt.
Ihre Aufmerksamkeit galt zwei kleinen Kindern, die in der Nähe spielten. Sobald sie den Ruf gehört hatten, liefen sie zu ihr. Lächelnd strich sie über ihre Köpfe. Dann bemerkte sie, dass sie beobachtet wurde.
Leicht verlegen begann sie, akoranisch zu sprechen, mit deutlichem Akzent. »Verzeihen Sie, Prinzessin, diese Kinder... Ich sagte ihnen, sie sollen im Haus bleiben, damit sie sich nicht schmutzig machen, bevor sie zur Schule gehen. Und was tun sie?« Ihr Achselzucken wirkte ebenso französisch wie ihr Tonfall.
Ehe Kassandra antworten konnte, erkundigte sich Joanna: »Vous etes francaise, Madame? Une francaise ici sur Akora?«
Erstaunt hob die Frau ihre Brauen. Aber sie bestätigte bereitwillig: »J’etais francaise, mais maintenant je suis une Akoraine .«
»Was hat sie gesagt?«, fragte Kassandra sanft, ohne erkennbare Überraschung.
»Dass Sie Französin war und jetzt Akoranerin ist«, fauchte Joanna. Aufgeregt wandte sie
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