Insel meiner Traeume
sich zu der Prinzessin. »Ich habe gehört, vor einigen Jahren sei ein französisches Expeditionskorps in akoranischen Gewässern verschwunden. Erzählen Sie mir bloß nicht, ein Teil der Schiffsbesatzung habe aus Frauen und Kindern bestanden! Außerdem glaubt man, alle wären tot - denn man kennt in ganz Europa die Gepflogenheit der Akoraner, sämtliche Ausländer niederzumetzeln, die das Pech haben, an dieser Küste zu landen. Wieso lebt die Französin hier?«
»Schauen Sie sich um, Lady«, bat Kassandra leise. »Schauen Sie ganz genau hin. Und sehen Sie nicht, was Sie sehen wollen, sondern die Wirklichkeit.«
Irritiert gehorchte Joanna. Ihr Blick schweifte die Straße hinauf und hinunter. Zunächst entdeckte sie nichts, was die seltsame Anweisung der Prinzessin rechtfertigen würde. Aber dann fiel ihr ein Mann auf, der aus einer schmalen Gasse schlenderte. Seine Haut schimmerte wie Ebenholz. Fröhlich unterhielt er sich mit einem Jungen, der ihm glich und vielleicht sein Sohn war.
Das verwirrte Joanna, und ihre Verwunderung wuchs, als eine rothaarige Frau die Straße überquerte. Aus einem Fenster neigte sich ein blonder Bursche. Lauthals rief er nach einem Freund.
Unter den schwarzhaarigen Akoranern mit dem Oliventeint gab es verhältnismäßig wenige Menschen, die fremdartig wirkten. Aber sie existierten ohne jeden Zweifel.
»Wie Sie mir erzählt haben, reiten Sie, Lady«, bemerkte Kassandra. »Züchten Sie Pferde?«
»Ja-daheim«, stammelte Joanna leicht benommen. »Auf Hawkforte...«
»Sicher vermeiden Sie eine Inzucht, um Ihr edles Pferdegeschlecht nicht zu schwächen. Sonst würden die Tiere erkranken, und es käme zu Fehlgeburten oder anderen Schwierigkeiten.«
»Bei Pferden...«, flüsterte Joanna langsam. »Und bei Menschen...«
Kassandra lächelte. »Glauben Sie, wir wären jahrtausendelang stark und gesund geblieben, wenn wir uns tatsächlich von der Welt abgekapselt hätten?«
»Also tötet ihr keine Xenos.«
»Das ist unser großes Geheimnis. Natürlich verhindern wir, dass alle Welt hierher kommt, denn wir lieben, was wir besitzen, und wollen es schützen. Aber auf Akora wird den Xenos kein Haar gekrümmt. Ganz im Gegenteil, wir versichern ihnen, wir wären glücklich, wenn sie sich bei uns niederlassen und Kinder bekommen würden.« Lächelnd wies Kassandra auf die Französin. »In manchen Fällen holen wir sogar - heimlich, still und leise - ihre Familien hierher, damit sie wieder vereint werden und in unserem Inselreich Zusammenleben können. Das soll Ihnen Marguerite erzählen.«
Erfreut über die Gelegenheit, jenes dramatische Ereignis zu schildern, nickte die Französin. »Vor drei Jahren kamen Soldaten in unser Dorf. Sie nahmen mon mari - meinen Ehemann Felix und andere Männer mit und erklärten, man würde ihnen die Ehre erweisen, Kaiser Napoleon dienen zu dürfen. Zum Teufel mit dieser Ehre! Tag und Nacht weinte ich und fürchtete, ich würde meinen Mann nicht Wiedersehen. Ich rackerte mich ganz allein auf unserem Bauernhof ab und sorgte für les enfants - meine Kinder. Dann hörte ich, Felix sei im Kampf gefallen. Oh, mon Dieu! Welch ein Kummer! Vierzehn Tage später tauchten die Fremden auf. Sie behaupteten, mein Mann sei am Leben.
Zuerst glaubte ich ihnen nicht. Doch sie gaben mir einen Brief von ihm. Darin standen Dinge, die nur ich wissen kann. Und da stand es eindeutig fest, dass sie nicht logen. Felix schrieb mir, er lebt jetzt an einem besseren Ort, glücklich und zufrieden, und ich soll mit den Kindern den Leuten folgen. Trotzdem hatte ich immer noch Angst und fühlte mich dans le desespoir - wie heißt es? Verzweifelt? Wir waren so arm, meine Kinder hatten keine Zukunft. Deshalb bat ich die Heilige Jungfrau, sie möge uns schützen, wir gingen mit den Fremden...«
»Und so wurden Sie hierher gebracht«, ergänzte Joanna.
Ernsthaft nickte Marguerite. »Am Anfang glaubte ich, wir wären gestorben und im Jenseits. Felix sagte, das hätte er auch gedacht. Aber wir sind nicht tot, wir haben ein neues Leben begonnen.« Lächelnd zeigte sie auf ihr hübsches kleines Haus und den Marktstand davor. »Schon immer war’s mein Traum, schöne Kleider zu nähen. In unserem Dorf hatte ich keine Chance... Und nun nähe ich sie nicht nur, ich trage sie aussi.«
In Joannas Augen brannten Tränen. Wegen der hellen Sonne, redete sie sich ein. Sicher lag es nicht an der überwältigenden Vision von Männern, Frauen und Kindern, die aus Leid und Elend errettet, in eine Welt voller
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