Insel meines Herzens
Gefühl, zu diesem Volk würde ich nicht passen, ich wäre nicht gut genug. Und plötzlich spielte das keine Rolle mehr.« Er aß noch ein wenig Suppe und schaute seine Schwester an. »Was meinst du, wie viele Leute Bescheid wissen?«
Diese Frage hatte sie sich bereits gestellt. »Nicht viele. Sonst hätten wir davon erfahren.«
»Warum oder wie der Vanax das geheim halten konnte, ist mir rätselhaft.«
»Vielleicht hat er festgestellt, dass wir gegen diesen Vulkan machtlos sind.«
»Unmöglich... Wir sind ein Seefahrervolk, und wir besitzen genug Schiffe, um alle Akoraner zu evakuieren.«
»Und wohin sollen wir uns wenden? In aller Welt treibt die Geißel des Krieges ihr Unwesen... Europa, Amerika – so viele blutige Konflikte! Nur hier leben wir in Frieden.«
Seufzend lehnte er sich in die Kissen zurück. Brianna stellte die Suppenschüssel beiseite und deckte ihn zu. Nun sieht er älter aus, dachte sie, nicht nur wegen seiner Wunde. In den letzten Tagen hatte er sich gegen das Böse behauptet und dem Tod die Stirn geboten. Bei diesen Erlebnissen war die Naivität der Kindheit entschwunden, die ihm bis dahin noch angehaftet hatte. »Jetzt solltest du schlafen, Polonus.«
»Wie lieb von dir, bei mir zu bleiben...«
Nein, hätte sie widersprechen können, eher selbstsüchtig. Das lenkt mich von anderen Dingen ab...
Doch er war bereits eingeschlafen, und sie wollte ihn ohnehin nicht mit ihren eigenen Sorgen belasten.
Die ließen sich nicht verdrängen, während sie neben ihm saß und seine Hand hielt, damit er mit der Welt jenseits von Schmerzen und Tod verbunden blieb.
Später kam der Vater ins Krankenzimmer. Marcus’ strenge Züge milderten sich, als er seinen jüngsten Sohn betrachtete. »Wie geht es ihm?«
»Besser«, erwiderte Brianna. »Zumindest glaube ich das. Natürlich macht ihm die Verletzung nach wie vor zu schaffen. Aber noch mehr können wir nicht für ihn tun, und er trägt es mit Fassung.«
»Inzwischen hat der Vanax ein Urteil über die vier Helios-Anhänger gesprochen, die am Mordanschlag auf ihn beteiligt waren.«
»Welches Schicksal müssen sie auf sich nehmen?«
»Vorerst bleiben sie in Haft, bis ein Gremium aus Friedensrichtern, Ratsherren und Mitgliedern ihrer eigenen Familien übereinstimmend feststellt, sie wären hinreichend geläutert, um wieder unter uns zu leben.«
Brianna nickte. Sicher war es gut und richtig, den Verwandten der Gefangenen ein Mitspracherecht in der Frage zuzubilligen, ob und wann sie entlassen werden sollten. In diese Familien würden sie zurückkehren. Und ihnen Schwierigkeiten bereiten, falls sie keine deutlich erkennbare Besserung zeigten. »Und Polonus?«, fragte sie leise.
»Dazu hat der Vanax noch keine offizielle Erklärung abgegeben. Aber ich sprach mit ihm unter vier Augen, und er versicherte mir, er würde berücksichtigen, dass Polonus dein Leben gerettet hat.« Marcus unterbrach sich, rückte einen Stuhl heran und setzte sich neben seine Tochter. »Sag mir doch, Brianna – in welcher Beziehung stehst du zu Atreus?«
Erschrocken über die Frage, schaute sie rasch weg, bevor er zu viel in ihren Augen lesen würde. »Vater...«
»Schon gut, ich weiß«, fiel er ihr hastig ins Wort. Offenbar hatte er zwei und zwei zusammengezählt. Seine gebräunten Wangen röteten sich. Unbehaglich zuckte er die Achseln. »Darüber willst du lieber mit deiner Mutter reden, nicht wahr? Ehrlich gesagt, auch ich würde das vorziehen. Aber da wir gerade beisammensitzen, halte ich’s für meine Pflicht, die Frage zu wiederholen. Also?«
»Wieso glaubst du...?«
»Brianna, ich bin ein Mann. Und ich sah das Gesicht des Vanax, als er von dir sprach.«
»Von mir?«
»Du weißt es doch schon – er erwähnte, Polonus habe dein Leben gerettet.«
»Auch Atreus hat mich gerettet. Aber das würde er dir niemals erzählen. Er warf sein Schwert beiseite, nachdem Deilos gedroht hatte, sonst würde er mich töten.«
Marcus hob die Brauen. »Sein Schwert? Nun, das überrascht mich nicht. Wurde er deshalb verletzt?«
»Ja...«, wisperte sie und erinnerte sich an den Dolch in Deilos’ Hand, auf Atreus’ Herz gezielt. Einfühlsam wie eh und je, hatte Elena ihr verraten, die Wunde sei nur geringfügig, und Atreus würde sie kaum bemerken. Brianna malte sich trotzdem immer wieder aus, was womöglich geschehen wäre.
Aufmerksam beobachtete Marcus ihr Mienenspiel. Dann legte er seine große, harte Hand über ihre. »Was in dir vorgeht, verstehe ich. Das Leben ist kostbar,
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