Insel meines Herzens
Sessel, die Augen von wehmütiger Trauer erfüllt. »Es war ein schrecklicher Fehler. Das sehe ich jetzt ein, und es tut mir unendlich Leid.«
Brianna setzte sich ihrer Mutter gegenüber, starrte Leoni an, sah nicht nur, was ihr lieb und vertraut war, sondern viel mehr – die Frau in ihrer Mutter. Im Herzen dieser Frau verbargen sich Hoffnungen und Träume, Sehnsüchte und Schwächen – wie in ihrem eigenen. »Du hast dir eine Tochter gewünscht.«
»Oh ja. Nachdem die Jungen zur Welt gekommen waren, versuchten es Marcus und ich dreimal. Zweimal erlitt ich Fehlgeburten, das dritte Baby trug ich fünf Monate lang in mir. Doch das genügte nicht, und es starb ebenfalls.«
»Davon wusste ich nichts.«
»Warum sollte ich darüber sprechen? Aber jetzt bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Elena erklärte mir, eine weitere Mutterschaft würde mein Leben gefährden. Eindringlich erinnerte sie mich an meine Verantwortung für die Kinder und meinen Ehemann. Marcus schwor mir, er würde mich nur noch anrühren, wenn ich eine neue Empfängnis verhüten würde. Es fiel mir sehr schwer, die Hoffnung auf eine Tochter aufzugeben. Schließlich dachte ich, das hätte ich geschafft. Und plötzlich warst du da.«
Um Leonis Lippen spielte ein zärtliches Lächeln.
» Du , Brianna. Nicht nur irgendeine Tochter, sondern du. So tapfer bist du gewesen. Das wusste ich von dir, bevor ich irgendetwas anderes herausfand, und es gab niemals einen Grund, dich anders einzuschätzen. Monatelang musstest du um deine Kräfte ringen, wieder gehen lernen und dich an ein neues Heim gewöhnen. Du hast nie geklagt oder den Mut verloren. Jeden Morgen bist du einfach aufgestanden, um dich den Forderungen des Tages zu stellen.«
»Weil ich keine Wahl hatte.«
»Oh, doch – du warst ein Kind. Niemand hat von dir erwartet, so viel innere Kraft zu zeigen. Und es ist dir trotzdem gelungen.«
Unwillkürlich lächelte Brianna. »Ich glaube, du siehst mich mit den Augen einer Mutter.«
»Allerdings. Und wenn schon? Ich finde, die weit verbreitete Meinung, Mütter würden immer nur das Beste in ihren Kindern sehen, ist reiner Unsinn. Glaub mir, niemand sieht so klar wie eine Mutter. Unsereins kennt alle kleinen Schrammen und Narben, innen und außen. Die Stärken erforschen wir ebenso wie die Schwächen.« Leoni seufzte. »Leider lernte ich Polonus nicht so gut kennen.«
»Deshalb darfst du dir keine Vorwürfe machen. Du hast ihm die gleiche Gelegenheit gegeben wie mir und deinen anderen Söhnen – unsere Flügel zu erproben.«
»Aber er konnte nicht fliegen...«
»Immerhin lebt er noch, dem Himmel und Tante Elena sei Dank. Freuen wir uns darüber.«
Leoni nickte, wischte eine Träne von ihren Wimpern und umfasste die Hand ihrer Tochter. »Lass dir noch einmal versichern, meine Mitschuld an dem Leid, das du erfahren musstest, bedauere ich zutiefst. Wäre es möglich, würde ich dir den Kummer abnehmen und selber tragen.«
Vor lauter Rührung konnte Brianna kaum sprechen. »Das würde ich dir nicht zumuten. Ich möchte dich nicht unglücklich sehen.«
Eine Zeit lang saßen sie noch beisammen, dann gingen sie zu Polonus.
Ein bleicher Schatten seiner selbst, lag er in seinem Bett. Das jugendliche Selbstvertrauen war entschwunden. Verdrängt von dem Zwang, lebensnotwendige Kräfte zu sammeln.
»Brianna...«, flüsterte er und lächelte mühsam.
Angesichts seines Elends musste sie ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um ihre Erschütterung zu verbergen. »Gar nicht so übel, wie du aussiehst«, meinte sie in munterem Ton. »Wenn man bedenkt, dass du beinahe in zwei Stücke geschnitten wurdest...«
»Eigentlich dürfte ich gar nicht mehr da sein...«
»Red kein dummes Zeug!«, schimpfte seine Mutter, um ihre Sorge zu überspielen. »Streng dich gefälligst ein bisschen an! Sieh zu, dass du bald gesund wirst! Das bist du deiner Tante schuldig. Du verdankst ihr sehr viel.«
»Gewiss, meine ärztliche Kunst hat einiges bewirkt«, gab Elena zu. »Aber er hatte auch Glück. Wäre das Messer ein bisschen weiter links eingedrungen, hätten wir ihn verloren.«
»Zum Teufel mit Deilos!« Leonis Augen funkelten vor Zorn. »Möge er in der Hölle seine gerechte Strafe finden!«
Brianna begegnete dem Blick ihres Bruders. Schweigend schüttelte sie den Kopf, er nickte verständnisvoll. Beide wussten, dass Deilos der Hölle so nahe gekommen war wie kaum ein anderer Sterblicher – wo immer er jetzt sein mochte. Darüber würden sie nicht
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