Insel meines Herzens
Zu ihrem Wohl. Und zu seinem eigenen?
Wie konnte sie diese Fragen beantworten, ohne die Blütenblätter eines Gänseblümchens abzuzupfen?
Plötzlich stieg ein seltsamer Laut aus ihrer Kehle – ein halbes Seufzen, ein halbes Kichern. Auf diesem Dach, in dunkler Nacht, würde sie kein Gänseblümchen finden. Aber sie besaß Flügel. Und die wollte sie verdammt noch mal nutzen.
Brianna traf Atreus nicht in seiner Privatsuite an. Kein Wunder, hier hielt er sich fast niemals auf. Nun, sie würde auf ihn warten. Früher oder später musste er zurückkommen. Wenn auch nur, um frische Kleidung anzuziehen...
Mittlerweile war es spät geworden, und sie fühlte sich erschöpft. Deshalb brauchte sie nicht lange für die Erkenntnis, es wäre am besten, in Atreus’ Bett zu warten.
Sie erwachte am nächsten Morgen. Oder eher, sie wurde geweckt. Eine schlanke, dunkelhaarige Frau betrat das Zimmer. Verblüfft hielt sie inne. Dann erhellte ein Lächeln ihr schönes Gesicht.
Noch bizarrer konnte es wohl kaum laufen, oder?
»Oh – Lady Phaedra...« Ein Laken an den Busen gepresst, richtete sich Brianna auf und starrte die Mutter des Vanax an.
Mit freundlichem Interesse erwiderte Phaedra ihren Blick.
»Ich wollte meinen Sohn sprechen. Ist er hier?«
»Nein! Zumindest glaube ich es nicht.«
»Wie rücksichtslos von ihm...«
Immer noch lächelnd, schloss Phaedra die Tür hinter sich und sank auf ein komfortables Sofa neben dem Bett.
»Nach seiner Rückkehr aus England war er so beschäftigt, dass wir nur selten eine Gelegenheit fanden, uns zu unterhalten. Deshalb dachte ich, vielleicht könnte ich ihm frühmorgens ein paar Minuten abringen, bevor ihn die Pflichten des Tages wieder beanspruchen. Offensichtlich ist das bereits geschehen.«
»Lady Phaedra – ich weiß, wie die Situation auf Sie wirken muss...«
»Wirklich? Meine Liebe, Atreus ist ein erwachsener Mann. Niemals würde ich mich in sein Privatleben einmischen. Allerdings, um die Wahrheit zu gestehen – ich bin froh, dass er eins hat.«
»Tatsächlich?«
»Oh ja. Nach der schweren Verletzung ist mir nicht entgangen, wie aufopfernd Sie ihn gepflegt haben. Auch Ihre Intelligenz, Vernunft und Schönheit fielen mir auf. Sagen Sie doch, mögen Sie Kinder?«
»Ich – ich denke schon. Jetzt sollte ich endlich aufstehen.«
»Gut, dann können wir zusammen frühstücken... Was ist denn das?«
Phaedra nahm ein Blatt Papier vom Nachttisch und las die wenigen Zeilen, die ihr Sohn geschrieben hatte. Erstaunt runzelte sie die Stirn.
»Atreus hat Ilius für ein paar Tage verlassen.«
»Und wo ist er?« Welche Pflicht mochte ihn zu einer Reise bewogen haben? Was war so dringlich, dass er dem Palast gerade jetzt, während so wichtige Entscheidungen getroffen wurden, den Rücken kehrte?
»Auf der Jagd.« Seine Mutter legte die Nachricht auf den kleinen Tisch zurück. Offenbar fiel es ihr schwer, ein Lächeln zu unterdrücken. »Sehr merkwürdig... Soviel ich weiß, ist Atreus kein besonders begeisterter Jäger.«
In ein Laken gehüllt, stieg Brianna aus dem Bett. Sie schaute sich nach dem Kleid um, das sie kurz vor Mitternacht ausgezogen hatte, fand es und versuchte, die schlimmsten Knitterfalten herauszuschütteln. »Und wo könnte er zur Jagd gehen?«
Ohne Zaudern beantwortete Phaedra die Frage. Dann beschrieb sie in allen Einzelheiten den Weg, der zu diesem Ort führte. »Leider müssen Sie zu Fuß gehen, meine Liebe, denn ein Pferd würde die beschwerliche Bergtour nicht schaffen.«
Brianna sagte sich, sie sei genauso vernünftig, wie es Lady Phaedra festgestellt hatte. Und so vergaß sie ihre hübschen femininen Gewänder, wählte eine schlichte Tunika aus unempfindlichem Stoff und derbe Schuhe, und dann brach sie auf. Atreus hielt sich in den Bergen hinter Ilius auf, an einem Ort, den er als Junge entdeckt hatte und seither liebte. Dort hatte er sogar eine kleine Hütte gebaut.
Das hatte Brianna von seiner Mutter erfahren. Bald würde sie diese Hütte sehen.
Vorausgesetzt, sie würde ihr Ziel jemals erreichen... Höher und höher wanderte die Sonne am Himmel empor, und es wurde unerträglich heiß. Schweiß rann in Briannas Augen. Ihre Haare hatte sie am Hinterkopf zusammengebunden, damit sie ihr nicht ins Gesicht wehten. Trotzdem musste sie immer wieder ein paar Strähnen aus ihrer Stirn streichen. Aber sie setzte ihren Weg unbeirrt fort.
Konnte Atreus, um ein wenig zu entspannen, nicht einfach ein Boot nehmen und auf dem Binnenmeer treiben lassen,
Weitere Kostenlose Bücher