Inselglück
Sommer, wenn wir alle hier sind, haben wir ein Baby!«
Nächsten Sommer, wenn wir alle hier sind: Diese Worte waren Balsam für Meredith. Sie war wieder eingeladen. Das nahm dem Abschied in wenigen Tagen ein bisschen von seiner Schärfe, obwohl es ihr Gefühl, nicht zu wissen, wo sie in den nächsten zehn Monaten sein und was sie tun würde, nicht milderte.
Toby ging zurück nach Annapolis, wo ihn eine Klasse frischgebackener Kadetten erwartete.
»Hätte ich doch bloß mein Boot nicht verkauft!«, sagte er. »Jetzt wünschte ich, ich könnte mit dir um die Welt segeln.«
Mit Toby um die Welt zu segeln, war ein reizvoller Gedanke, musste Meredith zugeben.
»Ich kenne dich«, sagte sie. »Du brauchst deine Freiheit.«
»Und diese Freiheit würde ich gern mit dir teilen«, sagte er. »Dir eine kleine Kostprobe davon geben. Sie ist das Berauschendste auf der Welt.«
Doch Merediths Freiheit befand sich noch im Würgegriff der Bundesermittler.
Zu viert saßen sie auf der Terrasse und genossen die Sonne: Connie, Ashlyn, Toby, Meredith. Sie hatten einen Krug Eistee vor sich stehen (koffeinfrei wegen Ashlyn), und eine Schüssel Kirschen machte die Runde. Ashlyn war übel; etwa jede halbe Stunde musste sie ins Haus gehen und sich erbrechen.
»Ich kann gar nicht glauben, wie mies es mir geht«, sagte sie.
»Ich könnte dir Geschichten erzählen«, konterte Connie. »Über dich.«
Meredith sah blinzelnd aufs Meer und beschloss, die Worte auszusprechen, die allen auf der Seele lagen. »Ich will nicht weg von hier.«
»Das musst du ja nicht«, entgegnete Connie. »Du weißt doch, dass du bleiben kannst.«
Drinnen klingelte das Telefon. Immer wieder das Telefon – Merediths Schultern spannten sich an. »Vielleicht Dan«, sagte sie.
»Der ist erst in zweiunddreißig Stunden fällig«, widersprach Connie.
»Ich geh ran«, sagte Toby und stemmte sich aus seinem Liegestuhl. Eine Sekunde später streckte er den Kopf heraus und verkündete: »Für dich, Meredith.«
»Natürlich«, sagte Connie.
»Ist es Dev?«, fragte Meredith.
»Ich glaube nicht«, sagte Toby.
Leo, Carver, Freddy? Freddy, Freddy, Freddy? Jetzt war es amtlich: Meredith hasste das Telefon. Es ängstigte sie.
Es war Ed Kapenash, der Polizeichef. Er wollte, dass Meredith auf die Wache kam.
»Ich denke, wir haben unseren Mann«, sagte er. »Und unsere Frau.«
Meredith und Connie fuhren zusammen zur Polizeiwache. Es war zwar Meredith, die terrorisiert wurde, aber das Grundstück, auf dem es geschah, gehörte Connie. Nur sie konnte Anzeige erstatten.
»Was meinst du, wer es ist?«, fragte Connie. »Jemand, den du kennst? Deine Freundin aus Palm Beach vielleicht?«
»Keine Ahnung«, sagte Meredith. Sie war wie benebelt. Es war heiß draußen. Sie wollte auf der Terrasse sitzen. Sie wollte schwimmen gehen. Sie wollte noch eine Vinaigrette machen. Sie wollte, dass Freddy anrief. Das wünschte sie sich am allermeisten. Sie hatte keine Lust, auf die Wache zu fahren und ihren persönlichen Terroristen kennen zu lernen.
»Den Flur entlang«, sagte die Sekretärin. Sie starrte Meredith eine Sekunde lang grimmig an, und Meredith vermutete, dass dies die Sorte Frau war, die sich zu Halloween als Meredith Delinn verkleiden würde. »Und dann die erste Tür links.«
Connie ging voran, Meredith folgte ihr. Die erste Tür links war nicht gekennzeichnet.
»Diese hier?«, fragte Connie.
»Das hat die reizende Dame jedenfalls gesagt.«
Connie klopfte, und Ed Kapenash öffnete die Tür.
»Kommen Sie rein«, sagte er, und sie traten in einen Raum, der aussah wie ein Klassenzimmer. Er enthielt einen langen Spanplattentisch, zehn Klappstühle und eine grüne, mit gelbem Kreidestaub beschmierte Wandtafel. An dem Tisch saßen zwei Leute, Leute, die Meredith nur als hungrig aussehend beschreiben konnte. Der Mann war vierschrötig und hatte einen massigen Hals und kurz geschorene schmutzigbraune Haare und trug einen goldenen Ohrring und ein T-Shirt, das für ein russisches Bier zu werben schien. Er kam Meredith bekannt vor. Sie hatte das Gefühl, dieses T-Shirt schon einmal gesehen zu haben, und heiße Angst überfiel sie. Die Frau, vermutlich Mitte dreißig, hatte sehr kurze pechschwarz gefärbte Haare und trug Jeansshorts und eine ärmellose gelbe Bluse. Auf einer Wange hatte sie einen blauen Fleck. Meredith konnte es nicht fassen, dass diese beiden einfach am Tisch saßen, als wären sie zu früh zum Essen gekommen.
»Michail Vetsilyn und Dmitria Sorchew«, sagte der
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