Inselglück
sie sich versah, griff sie nach ihrem Handy und wählte. Nach so vielen Stunden begierigen Lauschens kannte sie die Nummer auswendig.
Zunächst war besetzt. Natürlich; Delilah hatte Millionen Zuhörer, die ihren Lieben Songs schicken wollten. Connie drückte auf Wahlwiederholung.
Und beim sechzehnten Versuch nahm jemand ab. Nicht Delilah, sondern jemand, der die Vorauswahl traf, ein Screener.
»Erzählen Sie mir Ihre Geschichte«, sagte er. Er klang so jung wie Merediths Rechtsanwalt. War es ein Collegestudent, der sich mit der Arbeit für Delilah ein bisschen Geld dazuverdiente? Connie fand die Vorstellung belustigend.
Meine Geschichte?, dachte sie. Dafür brauche ich die ganze Nacht.
Sie sagte: »Mein Mann ist vor zwei Jahren an einem Gehirntumor gestorben, und ich dachte, ich würde nie wieder Liebe finden.« An dieser Stelle trat sie vor ihre Kommode, zeigte auf ihr Spiegelbild und dachte: Du, Constance Flute, bist wie geschaffen für Delilah! »Aber diesen Sommer habe ich einen wunderbaren Mann namens Dan kennen gelernt, und mein Leben hat sich verändert. Ich habe mich verändert. Dan ist übers Wochenende mit seinen Söhnen auf einem Campingausflug, und ich würde ihm gern einen Song widmen, damit er weiß, dass ich an ihn denke.«
»Welchen Song?«, fragte der Screener.
»›Something in the Way She Moves‹ von James Taylor«, sagte Connie. Der Song, den Dan ihr am Great Point ins Ohr gesungen hatte.
»Tolles Stück«, fand der junge Mann. »Ich verbinde Sie.«
Am nächsten Tag brachte Connie Meredith bei, eine frische Gemüsecremesuppe zu machen.
»Wenn du das Prinzip kennst«, sagte sie, »kannst du es auf alle Gemüsesorten anwenden: Brokkoli, Spargel, Möhren, Tomaten, Pilze.«
»Okay«, meinte Meredith, »aber was soll mich daran hindern, stattdessen zu einer Dose für einen Dollar neunundvierzig zu greifen?«
»Das weißt du, sobald du sie gekostet hast. Zuerst dünstest du eine gehackte Zwiebel in vier Esslöffeln Butter, bis sie weich ist.« Connie rührte die Zwiebelstücke in der schäumenden Butter. Sie hatte sich im Radio so gut geschlagen, dass sie jetzt ans Fernsehen dachte, an ihre eigene Kochshow! »Dann drei Esslöffel Mehl hinzufügen und eine Minute aufkochen lassen. Dadurch verliert das Mehl ein bisschen an Stärke.« Wenn Toby an der Marineakademie unterrichten konnte, warum sollte Connie dann keine Kochsendung bekommen? »Als Nächstes das Gemüse – in diesem Fall fünfhundert Gramm kleingeschnittener Sommerkürbis. « Connie sprach besonders deutlich, lächelte in eine imaginäre Kamera und kippte das Gemüse in den Topf. Meredith bemerkte ihre Theatralik nicht; sie war über ihr kleines Notizheft gebeugt und schrieb sich jeden Schritt auf. Connie fragte sich, ob sie wirklich selbst kochen würde oder doch Dosensuppe ihr Schicksal war. »Anderthalb Liter Hühnerbrühe dazugeben, eine Tasse Weißwein und einen Teelöffel frischen Thymian. Deckel drauf und zwanzig Minuten köcheln lassen.«
Connie stellte die Herduhr ein und wandte sich Meredith zu. Sie konnte es nicht länger für sich behalten. »Ich war gestern Abend bei Delilah.«
Meredith runzelte die Stirn. »Hä?«
»Ich habe bei Delilah angerufen und mir für Dan einen Song gewünscht.«
»Ist nicht wahr.«
»Ist es doch. Ich war im Radio.«
»Warum hast du uns nichts erzählt?«, fragte Meredith. »Oh Gott, was hätte ich dafür gegeben, das zu hören. Welchen Song hast du sie spielen lassen?«
»›Something in the Way She Moves‹. Von James Taylor.«
Merediths Gesicht verdüsterte sich.
»Vergiss es«, warnte Connie.
Meredith wandte sich ab. Connie rührte geistesabwesend den Kürbis im Topf um.
»Okay«, sagte sie dann. »Welchen Song würdest du Freddy widmen?«
»Ich weiß nicht«, erwiderte Meredith. »›I Will Survive‹ – ›Ich werde überleben‹?«
»Das wirst du auch, Meredith. Das wirst du.«
Meredith trat an die gläserne Schiebetür. »Ich setze mich in die Sonne«, sagte sie. »Wir haben nur noch neun Tage.«
Neun Tage. In Connies Kopf fing etwas an zu ticken wie eine Zeitbombe.
Als der Kürbis gekocht und auf Raumtemperatur abgekühlt war, ging Connie nach draußen, um Meredith zu holen. »Jetzt kriegt die Suppe den letzten Schliff.«
Connie goss den Inhalt des Topfes in ihre Küchenmaschine und stellte sie an, und aus der Mischung wurde eine geschmeidige sonnengelbe Flüssigkeit. Connie kippte sie zurück in den Topf, fügte Salz, Pfeffer und einen Becher Sahne hinzu und gab
Weitere Kostenlose Bücher