Inselglück
hatte gerade noch rechtzeitig die Augen geöffnet, um zu sehen, wie Freddy, der ausgemergelt und kränklich wirkte und einen schlecht sitzenden Anzug trug, vom Gerichtsgebäude zurück in sein Verlies geführt wurde.
Du Mistkerl, dachte sie.
Und wenige Stunden später hatte das Telefon geklingelt. Das Display meldete UNBEKANNT , was immer Hoffnung in Connie weckte, weil hinter jeder unidentifizierten Nummer ein Anruf von Ashlyn stecken konnte.
Connie nahm ab. »Hallo?«
»Connie? Con?« Es war eine Frauenstimme, sehr vertraut, obwohl Connie sie zunächst nicht erkannte. Es war nicht ihre Tochter, nicht Ashlyn, deshalb verspürte sie erst einmal einen Stich der Enttäuschung, bevor ihr klar wurde … dass die Frau Meredith war.
»Meredith?«, fragte Connie.
»Gott sei Dank hast du abgenommen«, sagte Meredith.
Was hatte sie getan? Warum hatte sie eingewilligt? Die Wahrheit war, dass Connie sich seit Monaten in Gedanken mit Meredith beschäftigte, dass Meredith ihr leidtat, dass Meredith ihr näher gestanden hatte als jede andere Frau in ihrem Leben – ihre eigene Mutter, ihre eigene Tochter eingeschlossen. Die Wahrheit war, dass Connie sich einsam fühlte. Sie sehnte sich nach einem vertrauten Menschen in ihrer Nähe, nach jemandem, der sie kannte, sie verstand. Die Wahrheit war, dass Connie nicht wusste, wieso sie eingewilligt hatte, aber das hatte sie nun einmal.
Connie war erschrocken, als sie die Menge von Reportern vor Merediths Apartmentgebäude sah. Fast wäre sie weitergefahren, doch sie wusste, dass Meredith hinter dem Haus auf sie wartete, und sie im Stich zu lassen, wäre grausam gewesen.
Als Connie vorfuhr, kam Meredith von der Hintertür zum Wagen gerannt und sprang hinein. Sie trug dieselbe weiße Hemdbluse, dieselben Jeans und flachen Schuhe, in denen Connie sie vor Monaten vor ihrem Besuch bei Freddy auf der Mattscheibe gesehen hatte. Connie wartete kaum darauf, dass Meredith die Tür zuknallte, ehe sie zurücksetzte. Aus dem Nichts tauchte ein Fotograf auf und machte einen Schnappschuss von dem abfahrenden Auto, aber Meredith hatte den Kopf unten. Connie raste die Park Avenue hinauf, fühlte sich jedoch erst sicher, als sie den Franklin D. Roosevelt Drive hinter sich hatten und auf der I-95 waren. Jetzt war Meredith bereit zu sprechen, aber Connie hob die Hand und sagte: »Lass uns erst reden, wenn wir in meinem Haus auf Nantucket sind.«
Obwohl es natürlich einiges gab, das sie wissen wollte.
Als über den Lautsprecher verkündet wurde, die Fähre laufe jetzt in den Hafen von Nantucket ein, wurde Connie mit einem Ruck wach. Meredith saß vorn, und zwei dampfende Becher Kaffee – mild, mit Zucker – standen in der Konsole. Connie und Meredith tranken ihren Kaffee beide so, eine Vorliebe, die sie hegten, seit sie sechs waren, seit Merediths Großmutter Annabeth Martin den kleinen Mädchen aus einer silbernen Kanne unorthodoxerweise Kaffee serviert hatte.
Meredith trug Baseballkappe und Sonnenbrille. Als sie sah, dass Connie wach war, sagte sie: »Ich habe Kaffee geholt. Ein Typ in der Schlange hat mich angestarrt, aber er war Ausländer, glaube ich. Jedenfalls hat er Russisch gesprochen.«
»Ich will dir ja nicht deine Illusionen nehmen … «, sagte Connie.
»Glaub mir, ich habe keine Illusionen.«
»Du wirst sehr vorsichtig sein müssen. Keiner darf wissen, dass du bei mir bist. Kein Russe, kein Schwede, niemand.«
»Bis auf meine Anwälte.« Meredith trank einen Schluck von ihrem Kaffee. »Sie müssen wissen, wo ich bin. Weil noch gegen mich ermittelt wird. Gegen mich und Leo.«
»Oh, Meredith«, sagte Connie. Sie war sowohl besorgt als auch verärgert. Das hätte Meredith ihr erzählen müssen, ehe sie Connie bat, sie abzuholen, oder? Hätte das einen Sinneswandel bei Connie bewirkt? Und der arme Leo, ihr Patenkind, einer der großartigsten Jungen, die sie kannte – warum ermittelte man gegen ihn? Connie unterließ es, das Naheliegende zu fragen: Haben sie etwas gegen dich in der Hand? Werde ich damit auch zu einer Art Komplizin? Stattdessen sagte sie: »Ich hätte gestern Nacht fast Toby angerufen und ihm erzählt, dass ich dich hierher mitnehme.«
»Toby?«
»Ja, Toby.«
»Macht es dir was aus, wenn ich dich frage, wo er ist?«
Connie holte tief Luft. »Er ist in Annapolis«, sagte sie. »Er hat ein Segelboot, das er im Sommer sehr erfolgreich verchartert. Im Winter … na ja, da gondelt er durch die Karibik.«
»Und schläft auf Saint Barth mit Models, die halb so alt
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