Inselkönig
die eine andere Vorgehensweise rechtfertigen würden. Und wer jemals
mit Große Jäger zusammengearbeitet hatte, dessen Toleranzschwelle gegenüber
jeder Bürokratie ohnehin stark erhöht war, verstand, was Thomsen erklären
wollte. Christoph ging deshalb nicht näher darauf ein. Es war ja gut, wenn
Polizisten wie Thomsen sich auch außerhalb normierter Verfahrensweisen um die
Belange der Menschen kümmerten.
Der Hauptkommissar musterte Christoph mit einem
sorgenvollen Blick, als würde er Vorwürfe erwarten. Nachdem Christoph ihm
unmerklich zugenickt hatte, atmete Thomsen sichtbar auf und drehte sich zu
Frederiksen um.
»Das kann nicht sein, Ingwer. Zu der Zeit wurde
Nommensen schon vermisst.«
Frederiksen, der zusammengesunken auf der Sitzbank des
Polizeibullis hockte, straffte sich. »Was willst du damit sagen? Behauptest du,
ich erzähl dummes Zeug?«
»Wo hat er Sie angerufen?«, fragte Christoph mit beschwichtigender
Stimme und erinnerte sich, dass Frederiksen kein Handy hatte.
»Ich war bei Ute.«
Es war schwierig mit dem Mann. Er sprach in knappen
Sätzen und antwortete nur auf direkte Fragen.
»Wer ist Ute?«
»Ute Hoogdaalen.«
Thomsen mischte sich ein, nachdem er Christoph einen
entschuldigenden Blick zugeworfen hatte. »Ute und Frerk Hoogdaalen wohnen am
Rand von Wyk.«
Christoph sah auf Frederiksens Hände. Er trug keinen
Ring. »Also ist Frau Hoogdaalen nicht eine Ihnen nahestehende Person?«
»Was soll das denn heißen?«
»Lebenspartnerin, Freundin oder Ähnliches. Das ist für
die Aussage von Bedeutung«, erklärte Christoph.
»Wieso Aussage? Und was soll der Quatsch? Ute und
Frerk sind glücklich verheiratet.« Frederiksen tippte sich an die Stirn.
»Mensch. Ute ist mit meinem Sohn zur Schule gegangen.«
»Hatten Sie Thies Nommensen gesagt, dass Sie bei den
Hoogdaalens erreichbar sind?«
»Nee.«
»Woher wusste der Anrufer, dass Sie genau zu der Zeit
dort waren?«
»Was heißt hier Anrufer? Ich sagte doch, das war Thies
Nommensen.«
»Für uns gilt eine Aussage erst dann als gesichert,
wenn sie verifiziert ist«, erklärte Christoph energisch.
»Von mir aus.« Frederiksen legte die Stirn in Falten.
»Was wollten Sie noch gleich wissen? Ach ja – wieso Thies wusste, dass ich bei
Ute war. Da bin ich oft.«
»Gibt es einen Grund dafür?«
Es dauerte eine Weile, bis Frederiksen antwortete: »Ja.«
»Welchen?«
Der Mann sah Christoph an. Er hatte die Lippen wie ein
trotziges Kind zu einem schmalen Spalt zusammengepresst. »Ist meine Sache«,
erklärte er in einem Ton, der deutlich bekundete, dass dies sein letztes Wort
war.
Sie wurden durch das Klingeln von Thomsens Handy
unterbrochen. Der Hauptkommissar meldete sich, lauschte einen Moment, sagte: »Danke«, und wandte sich an Christoph. »Das war Jürgen, mein Kollege. Er sagt,
ungefähr zwei Kilometer südlich sei eine große Schneewehe im Entstehen. Jürgen
meint, es sei nur eine Frage der Zeit, bis wir dort auch mit dem
Feuerwehrfahrzeug nicht mehr durchkämen.«
»Was schlagen Sie vor?«, fragte Christoph. »Wir können
den Tatort unmöglich allein lassen.«
Frederiksen räusperte sich und hob seinen Zeigefinger.
»Wenn ich mich einmischen darf …? Wir können unbesorgt sein. Ich rufe Tjark an.
Der holt uns zur Not mit dem Radlader heraus. Das ist überhaupt kein Problem.«
Christoph sah auf die Uhr. Es war mittlerweile elf Uhr
am Vormittag. Er nahm sein Telefon zur Hand und wählte Große Jägers Handy an.
Kurz darauf meldete sich Mommsen.
»Wo seid ihr?«, fragte Christoph.
»Zwischen Schlüttsiel und Dagebüll. Heuja!« Dann war
es einen Moment still. »Alles in Ordnung«, meldete sich der Kommissar wieder.
»Ich bin mit Große Jägers Fahrstil ja vertraut. Aber bei diesem Wetter ist er
gewöhnungsbedürftig. Wir haben mit der Reederei gesprochen. Sie haben zugesagt,
auf uns zu warten. Planmäßig soll die Fähre Viertel nach elf ablegen. Da es
nicht sicher ist, ob man danach den Verkehr einstellt, erschien es uns wichtig.
Außerdem habe ich noch einmal Flensburg angewählt. Die sehen keine Chance, an
die Westküste zu kommen. Unterwegs ist alles dicht. Wie ist das Wetter bei
euch?«
Christoph gab einen kurzen Lagebericht.
»Ich melde mich, wenn wir die Fähre erreicht haben.
Heuja …«, verabschiedete sich Mommsen.
Wie sollen wir weiter verfahren?, überlegte Christoph.
Die Spurensicherung aus Flensburg hatte keine Chance, zum Fundort der Leiche zu
kommen. Und der weiterhin heftig blasende Schneesturm würde
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