Inselkönig
mögliche Hinweise
ohnehin vernichtet haben. Sie konnten den Toten nicht länger am Baum lassen.
»Wir werden die Leiche bergen und nach Wyk bringen«,
beschloss Christoph.
Thomsen sah ihn entgeistert an. »Ist das Ihr Ernst?«
Christoph nickte. »Wenn Sie den Radlader kommen
lassen, so kann der uns mit dem Polizeibulli in die Stadt ziehen. Der Mann soll
Decken und Plastiktüten mitbringen.«
»Decken bekommen wir bei der Feuerwehr«, überlegte
Thomsen laut. »Was meinen Sie mit Plastiktüten?«
»Größere Gefrierbeutel, die im Haushalt verwendet
werden. Ich möchte sie über die Hände des Toten stülpen, um mögliche Kampfspuren
sicherzustellen.«
»Sie meinen, unter den Fingernägeln?«
»Beispielsweise. Außerdem benötigen wir Packpapier.«
Thomsen schenkte Christoph einen fragenden Blick.
»Damit möchte ich den Leichnam umwickeln, wenn wir ihn
transportieren.«
»Sie meinen wirklich, dass wir …« Thomsen unterbrach
sich und schluckte zweimal heftig. »Dass wir Nommensen vom Baum holen und mit
nach Wyk nehmen?«
Als Christoph nickte, schluckte der Hauptkommissar
erneut. »Und wie wollen Sie Nommensen transportieren?«
Christoph ließ die Frage unbeantwortet. Das wusste er
auch noch nicht.
Thomsen griff zum Telefon und gab die Anweisungen
durch. Daran, dass er sich in entnervter Tonlage mehrfach wiederholen musste,
bemerkte Christoph, dass der Beamte am anderen Ende der Leitung genauso
irritiert war über den ungewöhnlichen Auftrag wie der Föhrer Hauptkommissar.
»Wir müssen uns ein wenig gedulden«, erklärte Thomsen.
»Es kann ein Weilchen dauern, bis die Kollegen alles organisiert haben.«
Die feuchte Kälte hatte sich inzwischen auch im Fahrzeuginneren
breitgemacht. Beim Atmen stiegen kleine weiße Wölkchen empor und schlugen sich
von innen auf den Scheiben nieder. Christoph meinte auch festzustellen, dass
die von den drei Männern verbrauchte Atemluft knapp wurde. Obwohl es wenig
verlockend war, ins Freie zu gehen, wollte und musste er noch versuchen, Spuren
zu finden.
»Haben Sie eine Kamera an Bord?«, fragte er.
Thomsen kramte aus einer Tasche eine Digitalkamera
hervor und reichte sie ihm wortlos.
Christoph knöpfte seinen Anorak bis zum Hals zu, zog
den Riemen am Kragen fest zusammen, stülpte die Kapuze über den Kopf und
verließ das schützende Fahrzeuginnere. Thomsen machte keine Anstalten, ihm zu
folgen.
Der Wind zerrte wütend an Christophs Kleidung. Wie
tausend Nadelstiche stach der Schnee in das ungeschützte Gesicht. Christoph
musste einen Moment warten, weil seine Brille beschlagen war und ihm
vorübergehend die Sicht nahm. Dann stapfte er die wenigen Schritte bis zur
Brücke, die über den Graben zur Vogelkoje führte. Um Unbefugten den Zugang zu
versperren, bestand die Brücke aus fünf Holzplanken, die unterwärts auf
metallenen Querleisten verschraubt waren. Das hatte er festgestellt, nachdem er
den Steg hochgeklappt hatte. Die ganze Brücke war an beiden Seiten des Grabens
an Scharnieren befestigt und war so nicht passierbar. Auf dieser Seite des
Übergangs waren eine Öse und ein Haken an einem Pfosten angebracht. Ein simples
Vorhängeschloss sicherte die hochgeklappte Brücke gegen unbefugte Benutzung.
Christoph beugte sich hinab und versuchte, den Schnee
von der Haltevorrichtung zu blasen. Da das vergeblich war, holte er ein
Papiertaschentuch hervor und strich vorsichtig über den Sperrmechanismus. Jetzt
hing das Vorhängeschloss mit geöffnetem Bügel in der Öse. Christoph konnte
keine Gewaltanwendung erkennen. Es sah aus, als hätte jemand das Schloss mit
dem passenden Schlüssel geöffnet. Wenn das zutraf, schränkte es den Kreis
möglicher Täter ein. Das war ohnehin zu vermuten, überlegte er. Es schien
relativ unwahrscheinlich, dass sich ein fremder Täter bei solchem Wetter und zu
dieser Jahreszeit an diesen unwirtlichen Ort begeben hätte.
Christoph fotografierte das Schloss und den
Haltemechanismus mehrfach. Er würde es nach dem Eintreffen der Plastiktüten für
die kriminaltechnische Untersuchung sicherstellen.
Dann ließ er die Brücke wieder herab und kehrte zum
Baum zurück, an den man Nommensen gebunden hatte. Zuvor hatte er sich durch
einen Blick über die Schulter vergewissert, dass die beiden Männer im
Polizeiwagen aufmerksam seinem Tun folgten.
Sollte es Fußspuren geben, so waren diese unter der
dichten Schneedecke verschwunden. Sicher hätte Klaus Jürgensen, der Leiter der
Flensburger Kriminaltechnik, eine Möglichkeit gefunden,
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