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Inselkönig

Inselkönig

Titel: Inselkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nygaard
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sogar drei Personen erforderlich. Vermutlich, so
schloss Christoph, waren die Verletzungen erst nach dem Anbinden erfolgt. Noch
einmal bückte er sich und besah sich die Schürfwunden am Knie. Christoph war
sich nicht sicher, glaubte aber, kleine Partikel von Baumrinde an den Rändern
erkennen zu können. Das bedeutete, der Täter hatte als Tatwaffe einen Ast
benutzt. Damit war auch die Tatzeit eingegrenzt. Der Mord musste vor Beginn des
Schneesturms erfolgt sein. Man hatte Nommensen unter irgendeinem Vorwand zur
Vogelkoje gelockt, ihn an den Baum gebunden, die Hosen herabgezogen und mit
einem Ast die Knie zerschmettert, womöglich um ihn an der Flucht zu hindern. Es
war ein teuflischer Plan. Das Opfer war als vermisst gemeldet worden, und wenn
der Täter von der Insel stammte, konnte er sich zusammenreimen, dass man nach
einer besonderen Persönlichkeit wie »dem Inselkönig« schneller die Suche
aufnehmen würde als nach anderen. Doch in der einsam gelegenen Vogelkoje hätte
bei diesem unwirtlichen Wetter niemand gesucht. Nommensen hatte keine Chance
gehabt, dem Tod durch Erfrieren in der eiskalten Nacht zu entkommen. Das war
dem Täter bewusst. Hier lag ein im wahrsten Sinn des Wortes eiskalter Mord vor.
    Christoph sah in Richtung des Polizeibullis, der im
Schneegestöber nur schemenhaft zu erkennen war. Erst jetzt wurde ihm bewusst,
dass er völlig durchnässt war und fror. Gern hätte er jetzt unter einer heißen
Dusche gestanden. Stattdessen versuchte er, sich einen Reim auf die
Geschehnisse an diesem unwirtlichen Ort zu machen. Ohne die sonst
selbstverständliche Unterstützung der Kriminaltechnik und des ganzen zur
Verfügung stehenden Apparats kam er sich wie Sherlock Holmes vor, der seine
Fälle auch mit purer Logik gelöst hat. Doch dies hier waren nicht die raffinierten
Überlegungen eines Kriminalschriftstellers, sondern hinterhältiger Mord. Es
kostete Christoph Überwindung, sich nicht in das zumindest vor dem Wind
schützende Innere des Einsatzfahrzeuges zurückzuziehen, sondern weiterzusuchen.
Vorsichtig begann er, im Unterholz nach der Tatwaffe zu suchen, einem Ast, mit
dem man auf Nommensen eingeschlagen hatte. Er hatte sich den Handschuh
ausgezogen und wischte mit klammer Hand den Schnee vom Gestrüpp, das hier
wahllos herumlag. Er hatte Glück und stieß schon nach kurzer Zeit auf ein
armdickes Stück eines zersägten Baumstammes, das offensichtlich achtlos im
Unterholz liegen geblieben war.
    Christoph suchte weiter im mittlerweile schon recht
tiefen Schnee, konnte aber ein wenig abseits nur ein paar weitere Baumabschnitte
entdecken, die übereinandergeschichtet lagen. Von diesem Stapel schien der
Täter die Waffe genommen zu haben, mit der er auf Nommensen eingeschlagen
hatte. Christoph fotografierte das Holz, wählte eine andere Perspektive, aus
der Lage und Entfernung zum Opfer erkennbar war, und wurde durch das
Näherkommen eines dröhnenden Motors abgelenkt. Das musste der Radlader sein,
den Thomsen organisiert hatte. Er stakste zum Einsatzfahrzeug zurück und
versuchte dabei, seine froststarren Hände vorsichtig zu bewegen. Das
Schneetreiben war immer noch so dicht, dass man kaum etwas erkennen konnte.
Erst im letzten Moment tauchte der Radlader aus dem dichten Weiß wie ein
Ungetüm auf. Die Kabinentür öffnete sich, und der uniformierte Polizist, der
vorhin Thomsen begleitet hatte, sprang behände in den Schnee. Er fluchte, als
er dabei seine Schirmmütze verlor und diese ins Nass fiel. Christoph erkannte,
dass der Beamte unterm Arm eine Rolle Packpapier eingeklemmt hatte und einen
Rucksack in der Hand hielt. Er folgte ihm zum Polizeibulli, dessen Schiebetür
von innen geöffnet wurde.
    »Wird aber Zeit, dass ihr kommt«, sagte Thomsen, und
ein leichter Vorwurf lag in seiner Stimme.
    »Das war nicht einfach, alles zu organisieren«,
verteidigte sich der Polizist und hielt dem Hauptkommissar den Rucksack hin.
»Tee habe ich nicht. Dafür aber heißen Kaffee.« Er holte zwei angeschlagene
Keramikbecher hervor und entschuldigte sich, dass er nicht mehr habe finden
können.
    Christoph umschloss den Becher mit der heißen
Flüssigkeit und zuckte zurück. Nur mit Mühe konnte er mit seinen steif
gefrorenen Fingern das warme Gefäß halten. Vorsichtig nippte er am Rand und
spürte, wie ihm der Kaffee guttat. Langsam kehrten seine Lebensgeister zurück,
wenn er auch völlig durchnässt war. Dann bat er Frederiksen, sich in die Kabine
des Radladers zu begeben. Wortlos folgte der knorrige Mann

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