Inselkoller
bezahlen.«
»Ich höre, Baiba, und tue, was du sagst«, antwortete
er mit freundlicher Ironie in der Stimme. »Lieber möchte ich jedoch eins von den
Mon Chéris. Ich mag Süßigkeiten.«
»Warum hast du das nicht gleich gesagt? Nimm
dir die Schachtel aus der Küche. Du kannst sie behalten. Und steck auch gleich Vitamintabletten
ein. Die hast du nötiger als ich.«
»Ich höre und gehorche, Baiba. Ich gehe jetzt,
sonst komme ich nicht rechtzeitig ins Bett.«
»Schon gut, ich habe verstanden. Der Schlüssel
hängt am Schlüsselbrett, du weißt schon, wo. Die Adresse steht drauf. Schönen Abend
und bis morgen.«
»Bis morgen. Danke.«
Er verließ ihr Haus, wie er gekommen war: ruhig, unauffällig, geschmeidig.
Man hätte auch elegant dazu sagen können. Sie beschloss, frühzeitig zu Bett zu gehen.
Fernsehen ödete sie an, wenn sie sich gestattete, ehrlich zu sein. Heute war ein
schöner Tag gewesen, der Schampus hatte geschmeckt wie lange nicht mehr. Morgen
würde wieder ein schöner Tag werden. Und als sie zu ihrem Schlafzimmer hinaufstieg,
bemerkte sie, dass das Treppensteigen sie weniger anstrengte als jemals zuvor. Ihr
neuer Arzt hatte sie also doch gut beraten.
Die zwei Frauen
Gestern war ihr letzter Arbeitstag in der Firma gewesen. Ihre Gefühlslage
war unklar und machte sie nervös. In der letzten Zeit hatten sie mehrmals in der
Woche das Servicecenter des Flensburger Tageblatt in der Holmpassage aufgesucht,
um die Jobangebote zu studieren. Für sie war nichts dabei gewesen. Ihre Vorstellungen
fanden sich nirgendwo wieder. Sie wollten an ihrem zukünftigen Arbeitsplatz in jedem
Fall zusammenbleiben.
An diesem Morgen saßen sie sich beim Frühstück
gegenüber und sahen sich unschlüssig an. Plötzlich prustete Maxi unvermittelt ihr
halb zerkautes Ei auf den Teller und lachte lauthals los.
»Maxi, ekelhaft, was hast du?«
Maxi beruhigte sich langsam.
»Evachen, ick hab ’ne Idee. Wir beede sind
reef for de Insel. Und det machen wa jetzt einfach, klar?«
»Welche Insel, Maxi? Denk an unsere Finanzen.«
»Du imma mit dene Finanzen. Ick weeß schon,
wat uns jut tut, glob ma. Ick denk da an Sylt, da warn wa noch nie und da könn wa
per Anhalta bis fast hinne, und den Rest nehm wa de Bahn, die kost och fast nix,
capito? Wir bleeben da ’nen Tach, und wenn’s uns jefällt, bleeben wa och zweie.
Wir ham ja Zeit. De Stütze könn wa och späta beantrajen. Det loft nich wech, klaro?«
»Wenn du’s sagst. Aber ich weiß nicht so recht.
Haben wir überhaupt noch Geld?«
»Ham wa noch mehr als jenuch, Evachen. Lass
Maxi ma machen. Det Wetta is fantastisch, kiek ma us’n Fensta. Da brochn wa nur
det kleene Besteck. Komm, pack de Badehose een, et jeht los.«
Von ihrer Wohnung hatten sie es zu Fuß nicht
weit zum City-Park Flensburg, wo Maxi die beste Mitfahrgelegenheit witterte. Der
City-Park ist für viele Reisende aus Skandinavien in Richtung Süden und umgekehrt
ein beliebtes Einkaufszentrum nahe der dänischen Grenze, aber auch Syltreisende
machen hier gerne einen letzten Stopp, bevor sie auf die Insel übersetzen und ins
Reich der Champagnerpreise eintauchen.
Maxi entdeckte einen großen Volvo Kombi mit
der schwarzen, am Heck aufgebrachten Silhouette von Sylt. Sie stellten sich dazu
und warteten auf die Besitzer. Die entpuppten sich als Schweden in den Dreißigern
auf dem Weg ins Spielkasino von Westerland. Maxi quatschte die beiden ungeniert
an. Obwohl sich die Verständigung mehr als schwierig gestaltete, erkannten die Schweden
sofort, was die beiden wollten. Sie überließen ihnen ohne zu zögern die hinteren
Sitze und kümmerten sich nicht weiter um sie.
Maxi reagierte darauf verschnupft. Sie hatten
sich hübsch gemacht. In ihrer sommerlich leichten Bekleidung (flache Riemensandalen,
dreiviertellange helle Hosen und ärmellose Blusen, an denen die oberen drei Knöpfe
offen blieben) glaubten sie sich attraktiv und sexy. Maxi malte sich schon einen
schönen Tag an der Seite zweier gut betuchter Schweden aus. Aber sie musste schließlich
einsehen, dass ihr Outfit die Verständigungsschwierigkeiten nicht ausräumen konnte.
In Niebüll verabschiedeten sie sich und zogen
ihre Tickets für die Überfahrt aus dem Bahnsteigautomaten. Das Wetter hielt, was
es am Morgen und auch in den vergangenen Tagen versprochen hatte. Die Sonne strahlte
von einem stahlblauen Himmel.
Der Zug auf die Insel war voll. Ganz vorne
im Waggon waren vis-à-vis einem Farbigen zwei Sitze leer geblieben. Sie
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