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Inselkoller

Inselkoller

Titel: Inselkoller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reinhard Pelte
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Mutter ermittle«, gab Jung zu bedenken.
    »Wissen Sie, ich kann gar nicht offen oder
verschlossen zu jemandem sein, wenn ich es nicht auch zu mir selbst bin. Ich habe
keine Lust mehr dazu. Ich sage, was ich weiß, was ich fühle und wie ich darüber
denke. Vielleicht weiß ich morgen mehr, fühle und denke anders, wer weiß das schon.«
    Die Teekanne war leer.
    »Wie haben Ihnen der Schinken und die Salami
geschmeckt?«, fragte Karin Mendel.
    »Ausgezeichnet, danke. Der Tee war übrigens
besonders gut, eine Ostfriesenmischung, nicht wahr?«, antwortete Jung aufrichtig.
    »Richtig geraten. Aber das Wasser macht’s.
Ich bin da Expertin.«
    Und sie unterhielten sich über Wasser, Tees,
dänischen Kuchen und das Leben auf Sylt. Sie kamen auch auf Jungs Dienstgrad zu
sprechen, der so ungewöhnlich sei. Und Jung erklärte ihnen die Beamtenhierarchie
und die Laufbahnbestimmungen bei der Polizei.
    »Dann ist ja unser Schmalzkopf, Oberinspektor
Derrick, bis in sein hohes Alter nur ein einziges Mal befördert worden. Ein echter
Versager, habe ich das richtig verstanden?«, fragte Jürgen Mendel amüsiert.
    »Richtig.«
    »Aber fürs Fernsehen hat’s ja gereicht«, bemerkte
seine Frau, und die Männer lachten herzlich.
    »Ihr Dienstgrad ist auf Ihrer Ebene auch nicht
gerade beeindruckend, nicht wahr?«, wandte sich Jürgen Mendel an Jung.
    »Ihre Frau hat das heute Nachmittag etwas diplomatischer
ausgedrückt. Aber ja, es stimmt. Bei mir hat es noch nicht mal fürs Fernsehen gereicht.«
    Darauf lachten sie alle drei. Die vier Suiten
waren bei Nummer drei angekommen, und Jung hörte zum ersten Mal bewusst die strahlende,
etwas schmetternde Bachtrompete mit einem leicht schrägen Triller, der der Musik
einen besonderen, eigenartigen Charme verlieh.
    Das Telefon klingelte irgendwo im Haus. Karin
Mendel verließ den Raum. Kurze Zeit später rief sie ihren Mann zu sich. Jung blieb
allein zurück und trat an das große Fenster zum Garten.
    Er blickte über einen schon im Schatten liegenden
Schuppen hinweg auf das von der versinkenden Sonne in violette und dunkelbraune
Farbtöne getauchte Wattenmeer. In dessen weiten Wasserlachen spiegelte sich der
Himmel.
    Der Wind hatte deutlich nachgelassen. In der
Mitte seines Sichtfeldes schwebte eine Wolkenbank aus glühender Holzkohle ostwärts
der Küste zu, über der in den höheren Luftschichten eine Schneewehe aus weißgoldenen
Hakenwolken scheinbar bewegungslos verharrte. Jung spürte ein großes Verlangen,
sich gehen zu lassen und zu vergessen, wo er war, sich in etwas zu verlieren, gegen
das er nur widerwillig Kräfte zu mobilisieren in der Lage war.
    »Wie aus einem Roman von Rosamunde Pilcher,
nicht wahr?« Karin Mendel war hinter ihn getreten. Jung erschrak und fühlte sich
von ihr ertappt, wie schon öfter an diesem Tag.
    »Von Ihnen hätte ich nicht gedacht, dass Sie
Romane dieser Machart lesen.«
    »Da denken Sie richtig. Ich sah zufällig eine
Verfilmung im Fernsehen. Das hat mir gefallen. Ich sah zu bis zum glücklichen Ende.
Übrigens, mein Mann muss noch einmal raus zu den Pferden. Er kann Sie mitnehmen.
Wo sind Sie untergekommen?«
    »Ich muss zurück aufs Festland. Ich habe hier
keine Unterkunft.«
    Sie sah auf ihre teure Uhr.
    »Das wird nicht mehr gehen. Der letzte Zug
geht in Kürze. Den schaffen Sie nicht mehr.«
    Jürgen Mendel war ins Zimmer zurückgekehrt
und schaltete sich ein.
    »Hotelbetten sind in dieser Jahreszeit nicht
mehr zu kriegen. Wir haben aber das Gäste-Apartment meiner Mutter. Karin, das ist
doch frei, nicht wahr?«
    »Ja, es ist nicht belegt. Das können wir Ihnen
anbieten. Das Nötigste zum Übernachten finden Sie dort.«
    »Ist es dasselbe Apartment, das Ihre Schwiegermutter
dem farbigen Gärtner überlassen hat?«
    »Welcher farbige Gärtner? Ich weiß von keinem
Farbigen. Schon gar nicht, dass sie das Apartment einem Gärtner überlassen hat!«,
rief Karin Mendel erstaunt.
    »Der Hausmeister erzählte mir das heute Vormittag.
Der Farbige war Asylant und illegal beschäftigt. Ihre Schwiegermutter hat seine
Arbeit geschätzt. Sie scheint ihn darüber hinaus auch gemocht zu haben. Der Hausmeister
erweckte jedenfalls diesen Eindruck.«
    »Sie hat ihn für länger gebraucht. Und Clausen
hat ihre Wünsche realisiert. Das passt zu ihm«, grummelte Karin Mendel.
    »Mögen Sie Ihren Hausmeister nicht?«, hakte
Jung ein.
    »Ich schätze seine Arbeit in Haus und Hof.
Aber wenn man ihn anders einsetzt, wird seine vermeintliche Schlauheit schnell

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