Inselkoller
vermisst.
Ich wollte schon eine Anzeige aufgeben.«
»Guten Morgen, Frau Bongard. Ich hatte gestern
einen anstrengenden Tag und …«
»… und da wollten Sie früh ins Bett und hatten
nicht mehr die Kraft zu telefonieren.«
»Entschuldigen Sie, es tut mir wirklich leid,
dass …«
»Ich sitz da wie bestellt und nicht abgeholt
und …«
»Das stimmt ja auch«, unterbrach Jung sie ungeschickt.
»… vergeude meine Zeit. Das nächste Mal bestellen
Sie mich bitte aufs Präsidium, dann kann ich wenigstens einen Antrag auf Kostenerstattung
stellen. Ich hatte Angst, Sie wären in der Brandung ertrunken oder auf der Piste
zwischen Westerland und List unter die Räder gekommen.«
Jung hasste es, mit Worten zugeschmissen zu
werden. Er konnte sich nicht beherrschen zurückzuschmeißen, obwohl er damit schon
oft Explosionen ausgelöst hatte.
»Ich danke Ihnen, dass Sie sich um mich sorgen.
Das kenne ich sonst nur von meiner Mama. Aber ich hatte ein nettes Abendessen mit
Karin Mendel und richtig Spaß inne Backen.«
»Wollen Sie mich verarschen? Ihre Kollegen
waren schon unmöglich, und jetzt auch noch Sie. Ihr Gedächtnis haben wir ja schon
einmal diskutiert. Sie sollten mal zum Arzt gehen. Sie sind ein Sicherheitsrisiko
und gehören aus …«
Jung nahm das Handy vom Ohr und streckte es
weit von sich. Dann drückte er die rote Unterbrechertaste und schaltete es schließlich
ganz aus. Er hatte keine Lust, sich Unflätigkeiten anzuhören. Er hatte sich ein
ordentliches Frühstück verdient. Jung erinnerte sich an die Empfehlung Jürgen Mendels
und machte sich nach Beendigung einer spärlichen Morgentoilette auf den Weg ins
Hotel ›Stadt Hamburg‹.
Der Frühstücksraum war hell und gemütlich.
Man reichte ihm die Frühstückskarte. Als er den Preis von 18 Euro las, erinnerte
er sich schmerzlich daran, dass er noch vor wenigen Jahren für sechs D-Mark bei
›Meesenburg‹ in Flensburg ausgezeichnet gefrühstückt hatte. Nach Beendigung der
Mahlzeit mäkelte er allerdings nicht mehr: Der Orangensaft war frischt gepresst,
das Drei-Minuten-Ei ein Drei-Minuten-Ei und kein Fünf-Minuten-Ei, der Obstsalat
von frischen Früchten, der Joghurt cremig und frisch, die Biobrötchen knackig und
nicht pappig, der rohe Schinken und der Tee so gut wie gestern Abend bei den Mendels
und die Bedienung aufmerksam, freundlich und eine Augenweide.
Jung fühlte sich gut. Die Verstimmung nach
den Telefonaten war einem frischen Tatendrang gewichen. Er bezahlte, und die Bedienung
verabschiedete ihn mit einem höchst ermunternden Lächeln.
Der Kranke
Draußen war es noch kühler als am Tag vorher. Der Wind hatte auf Nordwest
gedreht und wieder böig aufgefrischt. Obwohl nur hin und wieder dickere Wolkencluster
über die Insel zogen und die Sonne länger zu sehen war, als dass sie sich versteckte,
war es ungemütlich. Jung schloss seine Jacke bis unter das Kinn und machte sich
auf den Weg in die Strandallee.
Er wollte den Hausmeister aufsuchen, um mit
ihm erneut über den Gärtner zu reden. Er versprach sich nicht viel davon, aber der
Farbige war die einzige Person, die bis zu diesem Zeitpunkt keine Aufmerksamkeit
in den Ermittlungen gefunden hatte.
Clausen war unangenehm berührt, Jung schon
so bald wiederzusehen. Aber seine Besorgnis wich schnell einer auffälligen Dienstbeflissenheit,
die ihn wohl vor eingebildeten Unannehmlichkeiten schützen sollte.
»Ich möchte Ihr Angebot, mir zu helfen, gleich
heute in Anspruch nehmen«, kam Jung nach der Begrüßung zur Sache. »Ich kenne mich
bei den Örtlichkeiten auf der Insel nicht aus. Ich möchte mir aber ansehen, wo und
wie der Gärtner gearbeitet hat.«
»Selbstverständlich helfe ich Ihnen gerne«,
beeilte sich Clausen ihm zu versichern. »Ich weiß zwar nicht, was Sie damit bezwecken,
aber Sie sind ja der Fachmann, nicht ich.«
Er führte ihn in den Hof und forderte Jung
auf, in einen blauen Fiat Doblò einzusteigen.
»Das ist das Auto, das er benutzt hat. Wir
fahren jetzt raus zur Chefin nach Kampen.«
»Warum haben Sie ihm ein eigenes Auto zur Verfügung
gestellt?«
»Er sollte Gartenabfälle abfahren. Und er brauchte
es, um von seiner Unterkunft nach Kampen und zurückzukommen.«
»Das ist großzügig«, bemerkte Jung anerkennend.
»Sagte ich Ihnen ja schon. So war die Chefin
eben.«
Er steuerte den Fiat auf die Strandallee in
Richtung Wennigstedt.
»Hier, in der Strandallee, haben wir den Großteil
unserer Ferienwohnungen. Gleich nach dem Kreisel biegen wir in die
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