Inseln im Netz
Laura. »Sie müssen wertvoll sein. Es ist ein Interessenkonflikt.« Laura nahm sie von der Schreibtischplatte und stand auf, streckte die Hand über den Tisch aus.
»Wir leben im modernen Zeitalter, Mrs. Webster. Genetisch veränderte Bakterien können Drogen tonnenweise erzeugen. Freunde von uns stellen diese Kapseln für dreißig Cents das Stück her.« Reverend Morgan erhob sich. »Sind Sie sicher?« Sie tat die Kapseln wieder in ihre Handtasche. »Kommen Sie und besuchen Sie uns, wenn Sie es sich anders überlegt haben. Das Leben mit einem Mann kann sehr leicht schal werden. Glauben Sie mir, wir wissen es. Und wenn das geschieht, können wir Ihnen helfen.« Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Auf verschiedene Art und Weise.«
Laura lächelte gepreßt. »Viel Glück mit Ihrem Wahlfeldzug, Reverend.«
»Danke. Ich weiß Ihre guten Wünsche zu schätzen. Wie unser Bürgermeister immer sagt, ist Galveston ein Vergnügungsort. Es liegt an uns allen, dafür zu sorgen, daß es das bleibt.«
Laura führte sie hinaus. Sie sah vom Eingang aus zu, wie Reverend Morgan in ein selbststeuerndes Elektromobil stieg. Es schnurrte davon. Eine Kette brauner Pelikane überflog die Insel auf dem Weg zur Karankawa-Bucht. Die Herbstsonne strahlte in hellem Glanz. Es war dieselbe Sonne, und dieselben Wolken zogen am Himmel. Was in den Köpfen der Menschen vorging, kümmerte die Sonne nicht.
Sie ging wieder hinein. Mrs. Rodriguez blickte vom Empfangsschalter auf. »Ich bin froh, daß mein Mann nicht jünger ist«, sagte sie. »La puta, wie? Eine Hure. Sie ist uns verheirateten Frauen keine Freundin, Laurita.«
»Sicherlich nicht«, sagte Laura und lehnte sich gegen den Tresen. Sie fühlte sich schon müde, und es war erst zehn Uhr.
»Que brujeria«, sagte Mrs. Rodriguez. »Eine Hexe! Hast du diese Augen gesehen? Wie eine Schlange.« Sie bekreuzigte sich. »Lach nicht, Laura!«
»Lachen? Lieber Himmel, ich bin bereit, Knoblauch aufzuhängen.« Das Baby winselte in der Küche. Plötzlich kam Laura eine japanische Redensart in den Sinn. »Nakitsura ni hachi«, sagte sie. »Ein Unglück kommt selten allein. Nur ist es im Original besser: ›Eine Biene für ein weinendes Gesicht.‹ Warum kann ich mich an dieses Zeug nie erinnern, wenn ich es brauche?«
Sie trug das Baby hinauf zum Hauptbüro im Obergeschoß, um die Tagespost durchzusehen.
Lauras Spezialität war Öffentlichkeitsarbeit. Als das Ferienheim nach Davids Plänen errichtet worden war, hatte Laura diesen Raum für geschäftliche Zwecke eingerichtet. Er bot Platz für größere Konferenzen und war durch seinen integrierten Datenanschluß ein vollgültiger Knoten im globalen Nachrichtennetz.
Das Ferienheim erledigte die meisten Geschäftsvorgänge, wie Aufenthaltsbuchungen und Gästedossiers, über e-Mail. Der größte Teil der Welt, sogar Afrika, war heutzutage an das Netz angeschlossen. Es war die einfachste und billigste Methode schriftlicher Kommunikation und wurde von Rizome bevorzugt.
Fax war komplizierter: Faksimiles von Dokumenten gingen als Ströme von Zahlen durch die Telefonleitungen. Fax war eher geeignet für die Übermittlung von Graphiken und Skizzen, und es machte Spaß, damit zu spielen.
Das Ferienheim war natürlich auch an das traditionelle Fernsprechnetz angeschlossen: Stimme ohne Bild, zur Sofortübertragung und zur Aufnahme. Auch Stimme mit Bild: Videofon. Rizome bevorzugte vorher aufgezeichnete Einweganrufe, weil sie effizienter waren und Zeit sparten. Außerdem konnten aufgezeichnete Videoaufnahmen für alle bei Rizome vertretenen Sprachgruppen mit Untertiteln versehen werden, was für ein multinationales Unternehmen ein bedeutender Vorteil war.
Schließlich war Konferenzschaltung möglich: vielfache gleichzeitige Telefon- oder Videoverbindungen. Die Telekonferenz war das kostspielige Grenzgebiet, wo Fernsprechtechnik in Fernsehtechnik überging. Die Leitung einer Telekonferenz war eine Kunst für sich, besonders wenn es um Public Relations ging. Es war eine Kreuzung zwischen dem Vorsitz einer Versammlung und der Leitung einer Nachrichtensendung im Fernsehen. Laura hatte es oft getan.
Mit jedem Jahr, dachte sie, war das Netz umfassender und lückenloser geworden. Das war das Werk der Computer. Fernsehen - Fernsprecher - Fernschreiber. Bandaufzeichnung - Videorecorder - CD. Sendemast verbunden mit MikrowellenSatellitenantenne. Fernsprechleitungen, Kabelfernsehen, Glasfaserstränge, die Worte und Bilder in zischenden Strömen reinen Lichts
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