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Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Santiago
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von der Nässe. Die Baumriesen im nahen Urwald ließen den Regen mit Verzögerung nach unten durch, es tropfte und triefte überall. Tiere verkrochen sich in ihre Schlupfwinkel im Unterholz, und die Vögel schoben ihre Köpfe wieder unters Gefieder. Doch kaum waren die Schauer vorbei, versickerte das Wasser auch schon wieder, der Boden und die Felder sogen es wie ein Schwamm auf. Nebelschwaden stiegen über dem Land empor, als die Sonne zum Vorschein kam und mit ihrer Wärme die Nässe in Dampf verwandelte.
    Wie immer war der Aufseher von seiner schwarzen Gefährtin geweckt worden, damit er die Sklaven zusammentrieb. Die Arbeit begann stets bei Sonnenaufgang und endete bei Sonnenuntergang. Die Frau ging zur Feuerstelle in der Ecke der Blockhütte, wo sie die Zutaten für eine Hafergrütze in den Kochkessel warf. Sie war dick wie ein Walross, nicht nur vom guten Essen, sondern auch von dem Kind, das sie trug – schon das dritte, das sie gemeinsam mit dem Aufseher hatte. Er war ein ordentlicher Mann, der sie und die Kinder selten schlug und auch die anderen Sklaven nur bestrafte, wenn es nötig war. Außerdem war er lustig. Es verging kaum ein Tag, an dem er nicht mit den Kindern lachte und scherzte oder die Flöte herausholte, um ihnen darauf vorzuspielen.
    An diesem Morgen war er besonders müde, da er am Vorabend zur Feier der Verlobung der jungen Herrin eine große Extraportion Festbraten und Rum mit nach Hause gebracht und mit ihr geteilt hatte. Auf ihren ersten Weckversuch reagierte er nur mit einem kurzen Grunzen und wälzte sich auf die andere Seite. Sie selbst wäre ebenfalls gern noch im Bett geblieben, doch sie wusste, er würde ihr die Schuld zuschieben, wenn er verschlief. Also rüttelte sie ihn abermals bei der Schulter, woraufhin er sich brummend hochquälte und vor die Tür ging, um sich zu erleichtern.
    Der Aufseher pinkelte in die regenfeuchte Morgenluft und gähnte, während er seinen Blick verschlafen in die Runde schweifen ließ. Drüben bei der Mühle entdeckte er etwas, das nicht dorthin gehörte, es sah aus wie ein nachlässig hingeworfenes Bündel zerknickter Bagasse. Ärgerlich ging er hinüber, um es zu den übrigen zu legen. Dann sah er, was es wirklich war, und fing an zu rennen. Der Lehmpfad hatte sich unter dem letzten Regenguss in Schlamm verwandelt, der Aufseher rutschte aus und fiel hin. Fluchend rappelte er sich wieder hoch, von oben bis unten mit Dreck beschmiert, doch er achtete nicht darauf.
    Über dem Drehbalken des Mahlwerks hing ein menschlicher Körper. Es handelte sich um einen Mann. Als der Aufseher näher kam, bemerkte er das blutverschmierte blonde Haar, aus dem das Wasser troff. Es war Robert Dunmore, und er war ohne jede Frage tot.

Vierter Teil
    Barbados
    Spätsommer und Herbst 1651

28
    D er Tote wurde im Herrenhaus aufgebahrt, nachdem die Schuldknechte ihn auf Befehl Noringhams dorthin befördert hatten. Sie wuschen den Leichnam sorgfältig, bedeckten die tiefe Wunde am Hinterkopf und hüllten den Körper in saubere Kleidung. Schließlich lag er dort, als schliefe er nur, das Gesicht so schön wie das eines gefallenen Engels. Um ihn herum flackerten Kerzen, die einer der irischen Diener entzündet hatte.
    Martha saß zusammengesunken in einem Lehnstuhl dicht bei ihrem toten Sohn. Nachdem sie minutenlang in höchsten Tönen geschrien hatte, war ihr die Stimme weggeblieben. Heiser krächzend hatte sie noch eine Weile weiterzuschreien versucht, bis ihr auch das nicht mehr möglich war. Seither weinte sie auf erschreckend lautlose Weise, der Körper zuckend wie unter Peitschenhieben, das Gesicht so verschwollen und rot wie von kochendem Wasser verbrüht.
    Elizabeth stand wie versteinert zu Füßen der Bahre und blickte auf ihren Mann. Die vielen Beileidsbekundungen hatte sie teilnahmslos über sich ergehen lassen. So, wie sie sich in manchen Zeiten ihrer Ehe gewünscht hatte, Robert lieben zu können, so sehr sehnte sie sich jetzt danach, um ihn weinen zu können, denn sie ahnte, wie seltsam es auf die Umstehenden wirken musste, dass sie ihrer Trauer nicht auf stärkere Weise Ausdruck verleihen konnte. Gleichzeitig hasste sie sich dafür, in dieser Lage überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden, was andere dachten. Martha, der sonst immer so wichtig war, was die Leute über sie sagten, scherte sich einen Dreck darum. Es kümmerte sie nicht, dass sie wie ein Tier stank, dass ihr graues Haar in dünnen Strähnen bis zur Hüfte hing, dass ihr Nachthemd fleckig war von

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