Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Santiago
Vom Netzwerk:
kam mit umwölkter Miene den Niedergang vom Hauptdeck herauf. Felicity ahnte nichts Gutes.
    8
    E lizabeth hatte seit Tagen nur noch den Wunsch zu sterben. Sie hatte davon gehört, dass manche Menschen Schiffsreisen schlechter vertrugen als andere, und in den Büchern hatte sie auch gelesen, dass die Seekrankheit sich in einzelnen Fällen hartnäckig hinziehen könne. Doch dass es mit derart scheußlichem Befinden einherging, hatte sie nicht erwartet. Sie hatte nicht damit gerechnet, den lieben langen Tag so sehr von Übelkeit gepeinigt zu sein, dass sie permanent würgen und speien musste, sobald sie etwas aß. Hatte sie dann einmal etwas heruntergebracht, kam es unweigerlich wieder heraus, sobald der Wind das nächste Mal auffrischte und die Eindhoven stärkerem Wellengang ausgesetzt war. Anfangs hatte Felicity ihr getreulich Gesellschaft geleistet und kaum die kleine Kabine verlassen, doch irgendwann hatte auch sie es nicht mehr ausgehalten und war an Deck geflüchtet, wo die Luft frischer und die Gesellschaft angenehmer war.
    Elizabeth hockte auf ihrer Kleiderkiste, den Kübel zu ihren Füßen, und hielt sich den schmerzenden Magen. Ihr Haar hing zerrauft um ihr Gesicht, obwohl Felicity es ihr am Morgen noch gründlich gebürstet und zusammengesteckt hatte. Elizabeth hatte die dumpfe Wärme nicht lange ertragen und sich die Haube vom Kopf gezerrt, womit sie sich unweigerlich die Frisur ruiniert hatte. Doch wen kümmerte es noch, was mit ihren Haaren geschah, wenn sich doch bereits der ganze Rest ihrer Erscheinung in derart jämmerlichem Zustand befand? Der Gestank war allgegenwärtig. Durchdringende Gerüche nach Schweiß, Urin und Exkrementen verbanden sich mit dem stechenden Dunst des Teers zu einer betäubenden Mischung, vor der sie anfangs, als sie die Kabine bezogen hatte, entsetzt zurückgeprallt war. Doch sie hatte rasch begreifen müssen, dass nach wenigen Tagen an Bord nicht nur die hüttenartigen Aufbauten mit den angrenzenden Abtritten auf der Galerie, sondern auch die Bewohner so rochen. Sie selbst nicht ausgenommen.
    Felicity hatte behauptet, das alles sei nur halb so scheußlich wie die Ausdünstungen, die der Wind gelegentlich vom Bug des Schiffes nach achtern wehte. Dort vorn in der Back hausten die Matrosen. Dicht an dicht kampierten sie mit ihren Hängematten inmitten der Kanonen im Zwischendeck, und wenn sie sich erleichtern mussten, hockten sie sich vor aller Augen ins Galion unter dem Bugspriet.
    » Stell dir vor, die meisten von denen sind unfreiwillig an Bord«, hatte Felicity ihr aufgeregt anvertraut. » Halsabschneider und andere Spitzbuben, zum Schiffsdienst verurteilt. Oder Säufer und Hurenböcke, die man in dunklen Gassen aufgesammelt hat.«
    » Woher weißt du das?«
    » Niklas hat es mir gesagt.« Sie verbesserte sich. » Der Kapitän.« Erschauernd fügte sie hinzu: » Und sein Schwager, der Pfeffersack, sagte gestern beim Dinner, diese Kerle seien so roh und sittenlos, dass ständig einer von ihnen ausgepeitscht werden muss. Daher kommen die Schreie, die wir manchmal vom Vorschiff her hören. Und immer müssen Wachen an Deck stehen, sonst käme noch einer von ihnen auf den Gedanken, uns hier oben im Schlaf die Kehle durchzuschneiden!«
    Woher die Männer auch immer kamen und von welchem Schlag sie waren – ihre grölenden Gesänge, ihr nach achtern dringender Gestank und ihr unflätiges Geschrei verstärkten Elizabeths Eindruck, sich in einem verrottenden Gefängnis zu befinden. Dagegen half auch nicht viel, dass es den Matrosen streng verboten war, das Achterdeck zu betreten, da dieses allein dem Kapitän, den Offizieren und den Passagieren vorbehalten war.
    Was jedoch den Gestank betraf, fühlte Elizabeth sich im Vergleich zur Mannschaft keinesfalls wie eine duftende Rose. Womöglich roch sie sogar noch ärger als alle anderen Menschen an Bord, da sie ständig den widerlichen Kübel vor sich hatte und der Gestank des Erbrochenen alles, was sie trug, bis in die letzte Faser durchdrungen hatte. Anfangs war sie noch an die Reling gerannt, doch das hatte sie schnell sein gelassen. Der Wind hatte die tückische Angewohnheit, einem ins Gesicht zu wehen. Ganz zu schweigen davon, dass jedes Mal eine Reihe von Zuschauern Zeugen ihrer Schwäche wurden. Seither zog sie es vor, im Verborgenen zu leiden.
    Was hätte sie darum gegeben, einmal baden zu können! Doch derlei Luxus war an Bord eines Westindienfahrers nicht vorgesehen. Zwar gab es irgendwo in den Tiefen des Frachtraums mehrere

Weitere Kostenlose Bücher