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Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Santiago
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verbringen musste, war ein guter Tag. Doch wer von Barbados nach England reisen wollte, hatte bei der Auswahl der zu Gebote stehenden Transportmittel keine besondere Auswahl. Englische Schiffe liefen die Insel nur sporadisch an, ganz zu schweigen davon, dass es auf ihnen meist noch schmutziger und beengter war als auf Westindienfahrern der Holländer, die immerhin regelmäßig kamen. Manche der englischen Segler hatten nicht einmal zusätzliche Kajütaufbauten. Dort mussten sogar die Offiziere mit den Soldaten und Matrosen im Batteriedeck zwischen den Kanonen logieren.
    Mit halbem Ohr hörte Harold die Rufe des diensthabenden Offiziers, der die Mannschaft befehligte. Er verstand kaum ein Wort der kehlig gebrüllten Kommandos, und er war sicher, dass es vielen der zerlumpten Burschen, die aus aller Herren Länder stammten, nicht anders erging, aber alles schien wie am Schnürchen zu klappen – jedenfalls stand keiner von ihnen dumm herum und überlegte, was zu tun sei. Die neunschwänzige Katze hätte ihnen solches Gebaren wohl auch schnell ausgetrieben. Schlendrian wurde bei der Mannschaft nicht geduldet, und beim geringsten Zeichen von Aufsässigkeit waren Hiebe die unweigerliche Folge. Nicht einmal die Anwesenheit der Frauen hielt den Kapitän davon ab, die Disziplin an Bord in der gewohnten Weise aufrechtzuerhalten. Alle paar Tage wurde einer an den Mast gebunden und ausgepeitscht, während die Übrigen zusehen mussten. Nur so war gewährleistet, dass die Männer, von denen wohl an die hundert auf diesem Schiff schufteten, nicht allzu häufig gegen ihr Los aufbegehrten. Den Rest besorgten Rum und Ale. Von beidem bekamen sie Tag für Tag eine ordentliche Ration, um das harte Leben besser zu ertragen. Ein Leben, das die wenigsten unter ihnen frei gewählt hatten: Harold schätzte, dass von all den abgerissenen, von Narben übersäten Kerlen die Hälfte, wenn nicht mehr, von Presspatrouillen verschleppt worden war – zumindest war es in England so üblich. Man schnappte sie, wo immer man ihrer unbeobachtet habhaft werden konnte, lauerte ihnen vor Spelunken oder an finsteren Ecken auf, betäubte und verschnürte sie zu wehrlosen Bündeln und brachte sie in den Bauch der großen Überseeschiffe. Waren die Anker erst gelichtet, konnten sie nicht mehr davonlaufen. Zu essen gab es nur für jene, die sich arbeitswillig zeigten. Irgendwann hatten die meisten sich in ihr Schicksal gefügt und waren Teil dieser rauen, gewalttätigen Bande geworden, die sich Crew nannte. Sie lernten es auszuhalten, und manche fingen sogar an, das Leben unter Segeln zu lieben, ungeachtet dessen, dass von hundert Mann, die in See stachen, oft weniger als die Hälfte die Rückreise überstanden. Verdorbener Fraß, Wassermangel, Fieber, Stürze, Schlägereien, Blutvergiftungen, kriegerische Attacken, Orkane – auf den Meeren gab es genügend Widrigkeiten, die das Dasein eines Matrosen lebensgefährlich machten. Seit die Eindhoven in Portsmouth ausgelaufen war, hatte Harold bereits zwei Tote über Bord gehen sehen, und dabei hatte der gefährlichere Teil der Reise noch gar nicht begonnen. Die hastige Totenmesse, vom Geistlichen mittschiffs im Morgengrauen abgehalten, hatte kaum einer der Passagiere registriert, ebenso wenig, wie sie zugesehen hatten, als die leblosen, in ihre Hängematten eingenähten Körper über Bord gekippt worden waren. Nun, die nächsten Male würden sie es zweifellos genauer mitkriegen, schon deswegen, weil sie dazu öfter Gelegenheit haben würden – auf der Hinreise hatte es bei der Mannschaft fast dreißig Tote gegeben, und auf der Rückfahrt würde es nicht viel anders sein.
    Geistesabwesend blickte Harold über das Wasser, verfolgte die Wellen, die sich schäumend unter dem Bugspriet teilten und mit stetigem Rauschen über die Flanken des Schiffs strömten. Über ihm blähte sich das derbe Flachstuch des Großsegels im Wind, begleitet von dem dumpfen Knarren sich spannender Taue. Die Sonne schien kräftig und zeichnete ein flirrendes Muster aus Licht und Schatten auf die Decksplanken. Die Luft war in diesen südlicheren Breiten bereits deutlich milder. Die schreckliche Kälte Englands war nichts, was sich auf Dauer gut aushalten ließ. Harold atmete tief ein. Wenn es nur immer so weiterginge, ließe sich die Reise leicht ertragen! Doch wie er gleich darauf feststellen sollte, war das eine vergebliche Hoffnung.
    Oben auf dem Achterdeck war Robert aufgetaucht, er redete mit der rothaarigen Hure. Claire hörte angeregt

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