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Inselwaechter

Inselwaechter

Titel: Inselwaechter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob M. Soedher
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gewesen zu sein – nur sie und Agnes, ohne Grohm oder Claire. Doch Agnes Mahler sei nicht erschienen. Im Hotel konnte man sie nicht erreichen. Bei einem Spaziergang sei sie dann auch zum Segelhafen gelangt und habe von Umstehenden erfahren, dass man eine ermordete Frau gefunden habe. Als sie den Namen im Leichenwagen gelesen hatte, habe sie in völliger Auflösung Helmut Grohm angerufen. Ihr Verhältnis zu Grohm bezeichnete sie in sarkastischem Ton als gut, offen und tragfähig. Sie hätte auch sagen können, das Wetter sei manchmal schön, dachte Schielin.
    Über Claire Wilms äußerte sie, dass der Attraktivitätsquotient der Kanzlei durch sie erheblich angehoben würde und sie die Fleißigste und Ehrgeizigste sei. Ihre Beziehung zueinander empfand sie als kollegial, wenngleich man nach gut einem Jahr noch nichts Genaues über einen Menschen sagen könne. Darüber hinaus gab sie launisch an, über einen guten Schlaf zu verfügen und erst zum Frühstück, gegen acht Uhr, auf den Beinen gewesen zu sein, so wie die anderen beiden auch. Schielin versuchte sie auf eine andere Weise in ein konstruktives Gespräch zu verwickeln. Dieses Frage-und-Antwort-Spiel führte bei ihr zu nichts. Er fragte, aus welchem Grund man sich angesichts der zu erwartend schwierigen Gespräche mit Agnes Mahler in Lindau treffen wollte, und aus welchem Grund man nicht jemanden hinzugezogen hätte, jemanden, der neutral war, der hätte vermitteln können in dem Konflikt.
    Sie sah Schielin spöttisch an. »Sie meinen so etwas wie – Mediation?«
    Schielin bestätigte: »So etwas …«
    Sie wendete theatralisch den Kopf zur Wand in gespielter Höflichkeit, um Schielin vermeintlich nicht sehen lassen zu wollen, wie sie ungläubig mit den Augen rollte, ob einer solch dummen Frage. Als sie ihr kleines Schauspiel beendet hatte, meinte sie: »Das meinen Sie aber doch wohl nicht ernst … Mediation … wir sind doch vom Fach und es geht nicht um Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für arbeitslose Sozialpädagogen. Wir wollten eine Lösung dafür, wie es zukünftig weitergehen sollte und es lag nicht in unserem Interesse Förmchen mit Psychoschlamm zu füllen – alles Weitere regeln dann Anwälte. So funktioniert das. Aber um Ihre Frage zu beantworten. Wir kommen hierher, weil es schön ist.«
    »Schön«, stellte Wenzel fest und ließ es zynisch klingen, um sie zum Weiterreden zu provozieren.
    »Ja, schön. Dieses Lindau ist ein Ort, an welchem sich wie kaum woanders in derart ereignisreicher Weise Langeweile verleben lässt; gerade an Sommertagen, wie wir sie gerade erleben. Ein aktives, den Geist beflügelndes Faulenzen. Das ist – schön. Jedenfalls, solange niemand dabei ermordet wird.«
    Schielin provozierte sie etwas plump, mit einer Plattitüde: »Ja, da haben Sie recht. Es ist eine schöne Landschaft. Der See, die Berge.«
    »Landschaft, Landschaft«, bellte sie über den Tisch und holte mit herrischer Geste eine Zigarette hervor und zündete sie an, ohne sich um einen Aschenbecher zu kümmern. Wenzel holte einen aus dem offenen Regal, in dem sich auch die Plastikbecher befanden.
    »Ich rede nicht von Landschaft, diese blöde Landschaft. Ich rede von Kultur, von Ergebnissen einer über Jahrtausende verlaufenden Entwicklung.«
    Schielin nickte beflissen. Wenigstens hatte sie den Nachsatz Wenn Sie verstehen, was ich meine, unterlassen, der immer ausdrückte, dass es der Adressat sowieso nicht verstehen würde. Schielin sonderte ein abweisendes »Ja, sicher« ab und blätterte in den Unterlagen, als suche er nach einem Stichwort für eine nächste, den Fall betreffende Frage. Es reizte sie tatsächlich.
    »Was sagen Sie denn ja, sicher, wenn Sie nicht annähernd verstehen, wovon ich spreche.«
    Wenzel schob nach: »Was ist denn schön hier, wenn nicht die Landschaft?«
    »Na, Sie sind es sicher nicht! So viel steht fest«, fegte sie gehässig über den Tisch, ohne dass Wenzel es als gehässig empfunden hätte.
    Nach einem kurzen, hektischen Zug an der Zigarette sagte sie: »Es sind keine Waldmenschen hier, das ist es.«
    Ein Augenblick der Stille entstand. Schielin wartete ab. Man durfte ihr keine ganzen Sätze liefern, das mochte sie nicht. Vielmehr funktionierte es ganz gut auf die holprige halb verbale, halb nonverbale Weise, mit ihr zu kommunizieren. Er sagte deshalb nur: »Waldmenschen«, und ließ es möglich gleichgültig klingen.
    »Ja, Waldmenschen. Ich will es Ihnen erklären. Was macht den deutschen Menschen aus? Der Wald, ja!? Tiefer,

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