Inselwaechter
anderer überstrapazierte. Es war in angemessener Weise stimmig – ihr Auftreten, ihre Erscheinung. Perfekt eben. Das war auch der Grund, weswegen sie es war, die uns nach außen hin vertrat. Sie bewegte sich mit einer natürlichen Sicherheit in der Welt der Vorstandsetagen, sie kannte deren Kodexe. Ein enormer Vorteil. Das kann man auch nur schlecht lernen, das muss man haben.«
»Wo waren Sie von Freitagabend bis Samstagmorgen, was haben Sie getan?«, kam es schnell und kühl von Lydia Naber, die sich dafür ein wenig schämte.
»Detailliert?«, fragte Claire Wilms professionell-distanziert.
»Schon, ja.«
Claire Wilms war anzusehen, wie sie ihre Gedanken in die Vergangenheit lenkte. »Ich möchte schon mit dem Freitagmittag beginnen. Da war ich bei der Auktion bei Zeller – Gemälde. Ich habe sogar etwas erworben. Mein Gott, das war ein Erlebnis! Grohm sagte mir ich müsste unbedingt mitkommen. Wenn er in Lindau war und es zeitlich möglich war, hat der die Gelegenheit wohl immer wahrgenommen. Eine wirklich grandiose Vorstellung und alleine diese Räume. Ich mag einfach schon diese alten Böden und diesen Geruch nach getrocknetem Alter, das Knarren der breiten Treppenstufen. Sagen Sie mir – wo kann man, bevor man sich entscheidet ein Gebot abzugeben, so wunderbar über Teppiche gehen, sie fühlen und erleben, welches Raumgefühl sie vermitteln?«
Claire Wilms richtete die Augen auf Lydia Naber und nahm nun ihre Hände zu Hilfe, um ihre Eindrücke noch deutlicher zu machen.
Lydia Naber lächelte. Nicht über das, was Claire Wilms erzählte, sondern darüber, dass sie nun ihre Zurückhaltung aufgab und so eine andere Persönlichkeit offenbarte. Energisch, lebhaft, offen, durchsetzungsstark, begeisterungsfähig. Nicht mehr die distanziert zurückhaltende Analytikerin, die sie bisher erlebt hatte. Sie lauschte ihr. »Oben im Saal, zur Fußgängerzone hin, diese herrlich breite Front alter Fenster, die sich nur kläglich öffnen und schließen lassen. Die übrigen Wände übervoll mit Gemälden. Beim ersten Betreten könnte man meinen, es fallen einem die Augen in einen Farbtopf – grandios. Und dann dieser Auktionator. Eine Wohltat in dieser Masse von Gleichförmigkeit und Uniformität, die uns doch alltäglich umgibt – finden Sie nicht auch? Langweiler überall, Schweiger, Nicker und Jasager. Das ist zum anderen auch wieder von Vorteil, denn dadurch fallen die Originale, die Charaktere und Eigenwilligen umso rascher auf. Es war spannend zu sehen, wie er da agierte, vorne am Tisch. Eine kleine, aber doch sehr exklusive Bühne. In einem Moment fragt er streng die Gebote, die über Telefon eingehen, ab, dann lächelt er jemandem in der Menge zu, wirft die Summen in den Raum wie Bonbons: ›Hallo Leute, aufwachen! Achttausend am Telefon, achteinhalb am Tisch – ich möchte gern ein Kärtchen sehen. Ist da niemand mehr bereit!?‹ Herrlich, wie das schillert – gerade noch Despot, dann wieder wohlwollender Patron, und wenn zum Dritten ertönt, theatralische Haltung, genussvoller Blick – ganz Connaisseur, glücklich und in der Lage sich an der Freude zu freuen. Großes Theater. An diesem Freitagnachmittag waren übrigens Russen in der Auktion, die gewaltige Summen ausgegeben haben, und – wie ich am Abend im Hotel gehört habe – bar bezahlt. Bar! Es war ein schmächtiges Männlein im graubraunen Anzug, das sein Nummerntäfelchen dezent gehoben hat. Die Begleiterin zur Rechten war eine ganz und gar wunderbar aufgetakelte Schwarzhaarige mit wahnsinnig echt aussehendem Goldschmuck. Links von dem Kleinen saß ein kahlgeschorener Lederjackenträger mit Stiernacken. Es war wie im Film. Wahrscheinlich hatte der eine Knarre unter der Jacke und ein Messer im Strumpf, wie man das aus düsteren Krimis eben so kennt, aber gut. Der Schmächtige hat sich spannende Bieterkriege mit einem Unbekannten am Telefon geliefert. Ein mit dreihundert Euro veranschlagtes, ausdrucksloses Ölfetzelchen – es handelte sich um einige Haufen Strohgarben, die völlig uninspiriert dargestellt waren –, dieses Ding ging für dreiundvierzigtausend weg – also, Euro. Dreiundvierzigtausend Euro. Da hat er gestrahlt, der Herr ganz vorne, und meinte gut gelaunt, er würde nur noch Bilder russischer Herkunft in die Auktion nehmen. Soweit ich das richtig deute, hatte da so eine Art Heimholungsaktion stattgefunden, denn alle Gemälde, über die der Bieterwettkampf entbrannt war, stammten ursprünglich aus einer Moskauer Sammlung. Keine
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