Inselwaechter
dunkler, dichter, nahezu undurchdringlicher Wald – das ist das Synonym für unseren Seelenzustand, da fühlen wir uns wohl, auf eigene Art und Weise geborgen, frei und zugleich in ständiger Bedrohung lebend. Doch hier ist das anders. Die Menschen hier sind von anderen Eindrücken geprägt, seit Jahrhunderten, Jahrtausenden. Der Blick hier wird bestimmt von der Weite, vom Wasser, vom offenen Himmel über einem. Das ist es, was das Leben bis heute hier anders sein lässt, und nicht die Landschaft.«
»Na ja, also … es gibt da den Bregenzer Wald …«
Mit einer energischen Handbewegung unterbrach sie Schielin. »Papperlapapp. Der See wirkt weiter, als er zu sehen ist. Ich kenne den Bregenzer Wald und ich spreche von der Mentalität einer Region und nicht vom spezifischen Verhalten einiger Uferbewohner. Meine Herren, Sie müssen lernen, die Dinge aus größerer Distanz zu betrachten, sich von ihrer Provinzialität zu lösen. Ich verstehe gar nicht, wie Sie bisher Ihrer Aufgabe nachkommen konnten?«
Wenzel lächelte. »Jedenfalls ohne dass bisher der Konflikt mit Kollegen dazu geführt hat, dass eine oder einer von ihnen erstochen am Ufer aufgefunden wurde.«
»Sie wollen doch nicht ernsthaft einen Bezug zu einem von uns herstellen?!«
Schielin gefiel das Durcheinander, in dem das Gespräch verlief. »Agnes Mahler schien den See und die Berge sehr gemocht und genossen zu haben, wenn sie den Sonnenaufgang an diesem etwas versteckten, fast geheimen Ort dort vorne an der Mole genossen hat.«
»Du liebe Güte. Nun seien Sie doch nicht beleidigt, weil ich Ihre kindliche Freude darüber getrübt habe, die schöne Landschaft, in der Sie leben, einer differenzierten Betrachtung zu unterwerfen.«
Schielin lächelte. »Ist also schon schön, nicht wahr.«
»Wenn es Sie glücklich macht.«
»War sie ein emotionaler Mensch?«
»Sie war ein nüchterner, ein sachlicher Mensch, klug, zielorientiert und verlässlich.«
»Was empfanden Sie ihr gegenüber?«
»Respekt.«
»Es gab also keine privaten Schnittmengen «, stellte Schielin fest.
»Schließen Sie das aus meiner Antwort? Wäre Respekt dem Denken eines Polizisten nach keine Grundlage für eine private Verbindung?«
Schielin unterließ es, ihr Angebot zu einem verbalen Spielchen anzunehmen und sah sie schweigend an.
»Wir hatten privat keinen Kontakt miteinander«, sagte sie sachlich.
Schielin kam dieser Kräuterstrauß in den Sinn und was Lydia darüber gesagt hatte. Dass es etwas Symbolisches hätte sein können. Vor vielen Jahren hatte er C.G. Jungs Buch Der Mensch und seine Symbole gelesen. Er erzählte davon und wollte wissen, ob Agnes Mahlers Arbeit im weitesten Sinne mit etwas Symbolischem zu tun gehabt und ob sie im Umgang mit anderen Menschen auf Symbole zurückgegriffen hatte, um etwas auszudrücken. Er wusste selbst nicht, worauf er damit hinauswollte.
Melanie Schirr strafte ihn mit einem strengen Blick und sprach gelangweilt: »Ah, sicher. Die lieben Symbole. Agnes war kein Typ, der Symbole verwendete, wenngleich das in unserem Metier nicht selten ist. In der Hypnosetherapie zum Beispiel werden Symbole, wenn sie – spontan oder induziert – vom Klienten kommen, in ihrem tiefenpsychologischen Bedeutungszusammenhang als primärprozesshafte Produktionen unbewusster psychischer Bereiche aufgefasst, die Hinweise auf Problem- und Konfliktkonstellationen und auf Ressourcen der Person geben. Symbole werden ebenso als therapeutische Vehikel für Suggestionen, insbesondere in der Konstruktion und Anwendung von therapeutischen Metaphern verwendet. Symbole als Bilder oder als Rituale können von Klienten als Anker verwendet werden, um sich in bestimmten Situationen mit eigenen Ressourcen zu verbinden. Dazu wären im besonderen Maße Übungen im Rahmen eines selbsthypnotischen Trainings geeignet.«
Schielin und Wenzel hatten nach dieser ausführlichen Antwort vorerst keine Fragen mehr.
*
Lydia Naber war gerade mit der Befragung von Claire Wilms zu Ende gekommen, als Helmut Grohm in der Dienststelle erschien. Sie begrüßte ihn freundlich, so wie er sie, und bat ihn noch einen Moment zu warten. Als Melanie Schirr aus dem Vernehmungszimmer kam, sah sie ihn aufmunternd an und ließ ihre Hand im Vorübergehen über seine Schulter gleiten. Grohm selbst unterließ jede Erwiderung dieser vertrauten, liebevollen Geste.
Lydia Naber nahm es interessiert zur Kenntnis.
Sie drückte Schielin einen Aktenhefter in die Hand und erläuterte mit wenigen Worten, was sie
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